JAHRESTAGUNG
JAHRESTAGUNG
09. und 10. Mai 2023 im Kongress am Park, Augsburg
© Anna-Carla Brokof (BZT)
Die Tourismusbranche und ihre Akteure haben sich in den vergangenen drei Jahren sehr stark mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Betriebsprozesse, der Umsetzung hoher und wechselnder Anforderungen des Gesetzgebers und Veränderungen bei den Tourismusströmen auseinandersetzen müssen. Viele Hürden sind dabei gemeistert und tragfähige Konzepte entwickelt worden. Nun wollten wir den Blick wieder stärker auf die wichtigsten Akteure im Tourismus richten: die Gäste.
Der Tagungstitel „Der Gast im Mittelpunkt: heute – morgen – übermorgen“ fasste diese erneute Fokussierung zusammen und spannte gleichzeitig ein weites Feld möglicher Betrachtungen auf. Neben einer Bestandsaufnahme dessen, was wir über den Gast von heute wissen (und nicht wissen), haben wir mit den Tagungsteilnehmer*innen und Referent*innen darüber diskutiert, wie wir auf geänderte Bedürfnisse unserer Gäste von morgen schon heute reagieren können. Ebenso diskutierten wir darüber, wie sich unser Umgang mit dem Gast, insbesondere durch die Entwicklungen in den Bereichen Digitalisierung und Nachhaltigkeit, verändern wird.
In seinem Vortrag erläuterte Wolfgang Wagner, dass der Gast in Bayern eine komplexe Größe ist, die nicht allein durch Statistiken erklärt werden kann. Um das Gesamtbild zu erfassen, verwendet die BayTM eine Vielzahl von Studien und Daten. Die Marktforschung bei der BayTM bildet die Grundlage für die Entwicklung und Anpassung von Strategien, die Definition von Zielgruppen, die Mediaplanung und die Öffentlichkeitsarbeit. Wagner betonte, dass ständige Forschung angesichts neuer Herausforderungen zentral ist. Abschließend warf Wagner einen Blick in die Zukunft und hob die Bedeutung der Bayerninteressierten hervor – rund 38 Prozent der Befragten einer Studie der BayTM interessieren sich für Bayern als Urlaubsziel in den kommenden drei Jahren. Durch strategisches Marketing und umfangreiche Auswertungsmöglichkeiten könne diese Gruppe gezielt angesprochen werden.
Prof. Dr. Jürgen Schmude nahm die Gruppe der Nicht-Konsument*innen bzw. Nicht-Kund*innen in den Fokus, da sie eine potenziell zu erschließende Zielgruppe für den Tourismus darstellen. Es wurden Zahlen zum Reiseentscheidungsprozess präsentiert, um zu verdeutlichen, warum Menschen in Bayern Urlaub machen oder warum eben nicht. Die Daten wurden mittels einer bevölkerungsrepräsentativen Quotenstichprobe erhoben. Die Ursachen für einen Nie-Bayern-Urlaub wurden ebenfalls erfragt und die Ergebnisse zeigen, dass viele dieser Personen im Urlaub lieber am Meer oder in wärmeren Klimazonen sind, die bayerische Mentalität und Kultur ihnen nicht zusagen oder ein Urlaub in Bayern als zu teuer empfunden wird.
Diskutant*innen (v.l.n.r.):
Moderation: Jens Huwald (Wilde & Partner Communications GmbH)
Zukunftsforscher Prof. Dr. Ulrich Reinhardt zeigte in seiner Präsentation unter anderem auf, dass „wir“ uns oft in die Vergangenheit zurücksehnen und diese als bessere Zeit wahrnehmen. Doch die Statistiken sprechen eine andere Sprache: Weltweit gibt es heute etwa weniger extreme Armut, eine geringere Kindersterblichkeit und erheblich weniger unterernährte Menschen als noch vor 30 Jahren. In Deutschland ist die Beschäftigtenzahl gestiegen und die Arbeitslosigkeit gesunken. Zudem hat sich der Nettoverdienst in Deutschland deutlich erhöht. Von den meisten Deutschen wird der Urlaub als „Höhepunkt des Jahres“ wahrgenommen, dabei stehen die Erholung und das Erleben als Motive im Vordergrund. Wir können also optimistisch in die Zukunft blicken, denn trotz aller Herausforderungen und Probleme gibt es Fortschritt und Verbesserung.
Mag. Andreas Reiter adressierte verschiedene Entwicklungen und Trends im Tourismus. Die Tourismusbranche sieht er in einem „Age of Uncertainty“, welches durch große Herausforderungen geprägt ist, wozu unter anderem die Diffusion der Mitte und die Entmaterialisierung gehören. Zudem gäbe es große Veränderungen durch die Digitalisierung, das Internet der Dinge, die Dezentralisierung, KI und die Dekarbonisierung. Auch der Klimawandel und die Kreislaufwirtschaft spielten eine wichtige Rolle. Reiter betonte, dass der Gast als Co-Kreateur gesehen werden sollte und ein persönlicher HighEnd-Service und Affective Hospitality immer wichtiger werden. Die Leitplanken für die Produktentwicklung sollten smart und regenerativ sein und die Generation Z als Agenten des Wandels wird immer wichtiger. Der Tourismus wird auch als Möglichkeit zur Selbstoptimierung und als Möglichkeit zur Entfaltung gesehen. Dabei geht es um die Erhöhung der Selbstwirksamkeit und die Transformation zu einer Erfahrungsökonomie.
Im Rahmen einer interaktiven Kaffeepause haben wir die Tagungsteilnehmer*innen dazu aufgefordert, Impulse und Überlegungen zu drei verschiedenen – für den bayerischen Tourismus der Zukunft wichtigen – Fragestellungen abzugeben. Die Ergebnisse haben wir strukturiert zusammengefasst. Sie bieten erste Ansatzpunkte für künftige Projekte der Wissenschaft und Praxis und können den Teilnehmenden und Nicht-Teilnehmenden der Jahrestagung als Inspiration dienen.
„Szenarien für den Tourismus in Bayern im Jahr 2040“
Bayerisches Zentrum für Tourismus
Prof. Dr. Wolfram Höpken verwies in seinem Vortrag auf die Chancen und Anwendungsfelder von Künstlicher Intelligenz im Tourismus. Durch maschinelles Lernen lassen sich etwa Vorhersagen über das Stornieren von Buchungen oder über touristische Ankünfte treffen, Bewegungsmuster von Tourist*innen nachzeichnen oder es kann adaptive Werbung ausgespielt werden. Grundsätzlich steigt die Leistungsfähigkeit maschinellen Lernens rapide an. Um die Anwendungsmöglichkeiten im Tourismus sinnvoll zu nutzen, ist es unabdingbar, schnellstmöglich Knowhow und Kompetenz aufzubauen, bevor die großen Player mit eingeschränkten und teuren Anwendungen den Markt für sich beanspruchen.
Der Begriff Nachhaltigkeit wird in der Tourismusbranche oftmals sehr subjektiv verwendet und viele Unternehmen vergeben sich ein vermeintlich umweltfreundliches und verantwortungsbewusstes Image, ohne dass es dafür eine objektive Grundlage gibt – das sogenannte „Greenwashing“. Prof. Dr. Wolfgang Strasdas plädierte in seinem Vortrag dafür, deutlich messbare Grundlagen im Tourismus zu schaffen als auch Ziele zu defineren. Er zeigte auf, welche Möglichkeiten es dafür gibt – so etwa die Vereinheitlichung von Zertifikaten, Mindeststandards und Reportings.
Diskutant*innen (v.l.n.r.):
Moderation: Jens Huwald (Wilde & Partner Communications GmbH)
„Tourismus in einer immer komplexeren Welt: Ein Blick über den Tellerrand“
Präsident, Travel Industry Club e.V.
Multiple Krisen verändern auch die Bedürfnisse und Ansprüche unserer Reisenden und die Art wie wir reisen werden. Deshalb muss sich auch die Tourismuswirtschaft viel intensiver mit ihnen beschäftigen: Krieg und Geopolitik werden Tourismus genauso verändern wie Klimakrise, Digitalisierung und gesellschaftlicher Wandel. Der Blick über den Tellerrand der üblichen Branchenthemen muss viel weiter werden, forderte Markus Tressel in seinem Abschlussvortrag.