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Schlagworte: Zielgruppen und Märkte, Städtetourismus, Tourismuszukunft
Von Anna Eva Lehneis, 16. August 2022
© iStock.com/AllesSuper21
Städte stehen spätestens seit der Covid-19-Pandemie vor vielfältigen neuen Herausforderungen. So sind in vielen Städten nicht nur rückläufige Besucherfrequenzen, eine veränderte Nachfrage im Leisure- und im Business-Bereich, Geschäftsschließungen, eine Verödung der Innenstädte und anderes mehr zu beobachten, auch der Klimawandel zwingt städtische Destinationen zunehmend dazu, ihr Angebot und ihre zukünftige Entwicklung zu hinterfragen. Als zentraler Punkt kann hier die Verbesserung der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum angeführt werden, die häufig in Verbindung mit dem Besuch von Städten steht.
Der öffentliche Raum spielt im Leben der Menschen und im öffentlichen Leben einer Stadt eine große Rolle. Diese wurde durch die Covid-19-Pandemie verändert und alte Strukturen infrage gestellt. Zudem werden in der Stadtentwicklung zukünftig Aspekte wie Nachhaltigkeit und Klimaschutz in den Fokus gestellt werden müssen (Vrhovac et al. 2021). Die räumliche Verzahnung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit der Bewohner*innen (vgl. Munzinger 2020, 83) und die Wünsche und Bedürfnisse von Reisenden, führen zu einer Nutzungsmischung sowie einer Mehrfachnutzung der verschiedenen Erlebniselemente (z.B. Stadtmobiliar, Stadtgrün oder Stadtbeleuchtung), die im öffentlichen Raum zur Verfügung stehen (Vrhovac et al. 2021). All diese Aspekte und Veränderungen beeinflussen nicht nur das Leben in der Stadt, sondern auch den Tourismus in städtischen Destinationen.
Der öffentliche Raum in Städten
Der öffentliche Raum einer Stadt beschreibt all jene frei zugänglichen Verkehrsflächen innerhalb einer Stadtgrenze, die sowohl von Einheimischen als auch von Ortsfremden genutzt werden können. Diese können in den öffentlichen Räumen in einen Austausch miteinander treten und somit eine aktive Gemeinschaft fördern. Der öffentliche Raum beinhaltet neben Parks und öffentlich zugängigen Flächen auch privatwirtschaftlich genutzte Flächen wie die Parknutzung oder außengastronomisch genutzte Bereiche (Vrhovac et al. 2021).
Die Aufenthaltsqualität einer Stadt kann anhand unterschiedlicher Faktoren gemessen werden. Hierbei kann eine Unterscheidung in quantitative oder qualitative Kriterien erfolgen. Zum einen lässt sich die Aufenthaltsqualität indirekt über die Aufenthaltsdauer und die Frequentierung von Besucher*innen veranschaulichen. Hier wird angenommen, dass eine starke Frequentierung von Attraktionen oder eine lange Aufenthaltsdauer an bestimmten Orten bzw. Plätzen auch eine hohe Aufenthaltsqualität vermuten lassen. Zusätzlich können über qualitative Erhebungen wie Befragungen der Besucher*innen vor Ort auch subjektive Wahrnehmungen und Zufriedenheitsmaße der Stadtnutzer*innen aufgezeigt und Rückschlüsse auf die Aufenthaltsqualität gezogen werden. Wichtige Nutzer*innengruppen sind hier beispielsweise Einheimische und Tourist*innen, die sich in zahlreichen städtischen Bereichen in einem Spannungsfeld komplementärer bzw. konkurrierender Ansprüche befinden (vgl. imakomm AKADEMIE GmbH 2021).
Die Aufenthaltsqualität kann durch verschiedene Indikatoren beeinflusst werden. So können drei Typen von Infrastruktur in der Stadt unterschieden werden, die einen maßgeblichen Einfluss auf die Aufenthaltsqualität haben.
Diese baulichen Elemente sollten verschiedene Aspekte erfüllen, um bestmöglich genutzt und wertgeschätzt werden zu können. Zum einen müssen sich diese in das umliegende Ambiente passend einfügen, zum anderen muss auch die Funktionalität der jeweiligen Infrastruktur für eine sinnvolle Nutzung beachtet werden. Ein wichtiger Aspekt ist hier auch die Integration aller Stadtnutzer*innen. Diese zielt darauf ab, keine Personengruppen bei der Nutzung baulicher Veränderungen im öffentlichen Raum auszuschließen (vgl. Manfrahs 2020).
Ein Aspekt, der zur Attraktivität von Städten und somit der Aufenthaltsqualität beiträgt und für Bewohner*innen in den Städten eine wichtige Rolle spielt, sind die Rückzugsorte innerhalb des Stadtzentrums. So dienen beispielsweise Parks und Grünflächen als Naherholungsorte für die Bevölkerung. Diese gewannen, während der Covid-19-Pandemie vermehrt an Bedeutung, da durch die Einschränkungen Grünflächen vermehrt als Erholungsort aufgesucht wurden (vgl. Linke und Mittermüller 2021). Zugleich können diese aber auch als Maßnahmen verstanden werden, um eine Klimaanpassung und Klimaresilienz in der Region zu fördern. Beispielsweise können Schutzkonzepte, die die Schäden von Starkregen mindern sollen, auch eine Bereicherung der Aufenthaltsqualität in Städten darstellen (vgl. Munzinger 2020). Die Stadt München versucht bspw. mit seinem Stadtentwicklungsplan 2040 die Zukunft der Stadt München proaktiv zu gestalten und eine nachhaltige Stadtentwicklung voranzutreiben. Das Klimaschutzkonzept der Stadt bezeichnet dabei die Integration von grünen Freiflächen als eine Notwendigkeit, um ihre städtische Klimaanpassungsziele zu erreichen.
Neben öffentlichen Erholungsräumen erwarten Bewohner*innen von einer Stadt aber auch einen Ort mit attraktiven Einkaufsmöglichkeiten. Diese tragen zu einer höheren Wohnqualität bei, die notwendig wird, wenn Menschen in den Zentren der Stadt wohnen. Ziel ist eine verstärkte räumliche Verzahnung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Durch diese liegt der Nutzen einer Innenstadt nicht mehr nur im Einkauf als das wichtigste Motiv eines Stadtbesuches, sondern es können eine Vielzahl anderer Besuchsgründe durch eine Belebung der Innenstadt entstehen. Wichtig hierbei ist die Schaffung eines Erlebnisfaktors. Dieser kann durch die Vernetzung der unterschiedlichen Angebote in einer Innenstadt erreicht werden. Beispielhaft können hier die Bestrebungen der Stadt Ingolstadt angeführt werden, die mit der Eröffnung eines Kunstkaufhauses nicht nur regionalen Künstler*innen die Chance gegeben hat, ihre Kunst auszustellen und zu verkaufen, sondern auch gleichzeitig die Möglichkeit nutzt leerstehende Gebäude in der Innenstadt zu revitalisieren und damit einen neuen Anlass für Besucher*innen schafft die Innenstadt aufzusuchen.
Auch der Bedarf an Wohnungen innerhalb einer Stadt verändert sich. So nahm die Anzahl der Menschen in den Städten bis 2018 kontinuierlich zu. Jedoch zeigte sich bereits vor der Pandemie, dass sich dieser Trend umkehrt und die Einwohnerzahl in den Städten langsam abnimmt. Gründe hierfür sieht eine Studie des ifo-Instituts darin, dass vermehrt Aspekte wie die Nähe zu Naherholungsgebieten sowie eine vermehrte Bereitstellung von mobilem Arbeiten die Entscheidungen zum Wegzug aus einer Stadt beeinflussen. Allerdings bleibt die Wohnungssituation in den Städten weiterhin angespannt. So zeigt sich, dass zwar die Anzahl der Menschen in der Stadt leicht abnimmt, allerdings der Bedarf an Wohnraum für kleinere Haushalte weiter zunimmt (vgl. Reicher/Söfker-Rieniets 2022).
Neben den bereits angesprochenen Erwartungen der Bewohner*innen an die Stadtentwicklung spielt die Identifikation mit dem städtischen Lebensraum und eine damit einhergehende wahrgenommene Authentizität der Stadt eine große Rolle. Die Identität einer Stadt und somit der Bewohner*innen wird zwar hauptsächlich durch soziale und gesellschaftliche Aspekte konstruiert, dennoch spielen städteplanerische Elemente eine entscheidende Rolle, wie authentisch eine Stadt wahrgenommen wird. Es kann eine deutlich bessere Fokussierung auf die gemeinsamen Ziele und ein besserer Zusammenhalt der Bewohner*innen beobachtet werden, wenn alle verschiedenen Interessen in einer Stadt eingebunden werden und insbesondere die Bewohner*innen sich am Prozess der Stadtentwicklung beteiligen können beziehungsweise ihre Ideen auch umgesetzt werden (vgl. Bauer et al. 2021). Beispielhaft kann hier das Projekt der Holstenfleet in Kiel angeführt werden. Dieses Projekt soll die Innenstadt Kiels beleben, zudem einen Ort der Begegnung schaffen und durch die Einbindung von Pflanzen und Wasser eine Verbesserung der Aufenthaltsqualität schaffen. Über den gesamten Prozess der Entstehung waren Bewohner*innen aufgerufen, Ideen einzureichen und über die Umsetzung mitzuentscheiden. Dieses Beispiel zeigt, dass durch eine erfolgreiche Einbindung der Bevölkerung in den Entscheidungsprozess eine hohe Akzeptanz und Identifikation mit der Stadt entstehen kann (vgl. Vrhovac et al. 2021).
Der Tourismus spielt in deutschen Städten eine große Rolle. So entfallen 50 Prozent der Kurzurlaubsreisen der Deutschen auf Städte in Deutschland. Innerhalb dieser durchgeführten Kurzreisen liegt Bayern mit den meisten Kurzurlaubsreisen mit 16 Prozent an der Spitze (vgl. Reiseanalyse 2020).
Die Aktivitäten, die Tourist*innen im Rahmen ihrer Städtereise planen, sind vielfältig. So stehen vor allem kulturelle und historische Sehenswürdigkeiten im Zentrum, jedoch können auch Kulinarik, der Besuch von Museen, Events und Veranstaltungen oder das Einkaufen ein Teil einer Städtereise sein. Anders als die Bewohner*innen, haben Tourist*innen andere Bedürfnisse beim Besuch von Städten und nicht zuletzt durch die Covid-19-Pandemie haben sich die Interessen im Städtetourismus verändert. So sind Aktivitäten wie der Besuch von Veranstaltungen oder der Aspekt des Einkaufens stark rückläufig, hingegen wird der Aufenthalt in Parks und Grünflächen zukünftig als deutlich relevanter auf der Nachfrageseite angesehen. Zudem steht auch der Aufenthalt in diesen öffentlichen Flächen bei 44 Prozent der Befragten als geplante Aktivität bei der nächsten Reise fest. Hier wird deutlich, dass im Kontext der Stadtentwicklung neu gedacht werden muss, will man den veränderten Ansprüchen und Erwartungen der Tourist*innen entsprechen (vgl. Deutschem Städtereisemonitor).
Eine bedeutsame Anforderung, die Tourist*innen an eine Stadt und somit an städtische und touristische Entwicklungsprozesse stellen, ist der Erlebniswert und -charakter einer Stadt. Dieser kann zwar über Veranstaltungen und Events erreicht werden, aber damit Veranstaltungen und Events nicht als alleinige Gründe für den Besuch einer Stadt wahrgenommen werden, müssen Städte abseits von Veranstaltungsformaten Anreize schaffen, um einen einzigartigen Erlebnischarakter zu erreichen. So kann die gastronomische Vielfalt einer Stadt den Erlebniswert und die Aufenthaltsqualität einer Stadt deutlich aufwerten. Die Attraktivität der Innenstädte kann sowohl für Tourist*innen als auch für Bewohner*innen beispielsweise durch neue Anreize wie die Einrichtung von Pop-Up-Straßenlokalen, Szene- und Außengastronomie deutlich gesteigert werden, ist doch der Besuch von Restaurants und Cafés eine prominente touristische Aktivität im Kontext einer Städtereise (vgl. Deutschem Städtereisemonitor). Damit die Gastronomie diese Rolle einnehmen kann, muss diese in die Stadtentwicklung miteinbezogen werden (vgl. Pätzold 2014).
Ein Aspekt, den Tourist*innen immer mehr von Städten erwarten, ist die Authentizität der Städte und die Authentizität des Angebots in den Städten. Diese Entwicklung beobachtet auch der Deutsche Tourismusverband e.V. in seiner Städtereisenstudie 2021. Hier zeigt sich, dass Aspekte wie das Eintauchen in die Stadtkultur sowie das kulinarische und gastronomische Angebot oftmals als Hauptmotiv für eine Städtereise genannt werden. Die Suche der Tourist*innen nach Authentizität beschreibt auch das Phänomen des New Urban Tourism. So verlangen Tourist*innen immer mehr nach dem urbanen alltäglichen Leben der Bewohner*innen. Dies wird erreicht, indem vermehrt neue Orte gefunden oder geschaffen werden, in denen ein Zusammentreffen der beiden Nutzer*innengruppen zustande kommt (vgl. Stoltenberg et al. 2021). Dies führt allerdings zu einer Touristifizierung der Städte durch die Tourist*innen. In der Bevölkerung kann somit die Wahrnehmung entstehen, dass diese aus dem eigenen Lebensraum verdrängt wird. Die negative Wahrnehmung wird beispielsweise durch eine zunehmende Überfüllung, eine steigende Lärmbelastung oder eine Zunahme an Müll in öffentlichen Räumen hervorgerufen (vgl. Freytag/Glatter 2017).
Bei der Betrachtung aller genannten Aspekte wird deutlich, dass eine Vielzahl von Nutzungs- und Nutzer*inneninteressen in den öffentlichen Räumen einer Stadt aufeinandertreffen und im besten Fall miteinander vereint werden müssen, um auf Entwicklungen wie die rückläufigen Besucherzahlen, Geschäftsschließungen in Innenstädten oder den sich verändernden klimatischen Voraussetzungen zu reagieren. Um diesen unterschiedlichen Interessen gerecht zu werden, müssen Vertreter*innen der verschiedenen Nutzer*innengruppen in die Stadtentwicklung integriert werden. Die Stadtentwicklung kann demnach als eine Gemeinschaftsaufgabe gesehen werden, an der sowohl öffentliche als auch private Vertreter*innen beteiligt werden sollten. Diese Zusammenarbeit wird jedoch oft noch nicht ausreichend genug umgesetzt und einzelne Interessen, wie bspw. die des Tourismus, werden in der Stadtentwicklung noch zu wenig oder kaum berücksichtigt. Jedoch gibt es keine Lösung und kein Konzept, das universell für alle Städte anwendbar ist. Hier spielen Faktoren wie die Größe einer Stadt, die baulichen Voraussetzungen oder, im Hinblick auf den Tourismus, die touristische Infrastruktur und die touristische Prägung der Stadt eine wichtige Rolle.
Ein wesentlicher Punkt, der in der Betrachtung der beiden Nutzer*innengruppen – Bewohner*innen und Tourist*innen – deutlich wird, ist, dass bei beiden die Authentizität der Stadt und die Identifikation mit der Stadt wichtige Aspekte darstellen. Durch eine Identifikation mit den umgesetzten Maßnahmen steigt die Aufenthaltsqualität nicht nur durch die Maßnahmen selbst, sondern auch durch die Partizipation, den Aufenthalt und die Nutzung der Bevölkerung. Diese Faktoren sorgen dann wiederum für eine größere Authentizität gegenüber Gästen.
Oben genannte Einflüsse beschränken sich nicht nur auf die bestehende Bevölkerung oder wie hier erläutert auf Tourist*innen, sondern es können auch Einflüsse auf andere Bereiche entstehen. So kann mit einer steigenden Aufenthaltsqualität in einer Stadt auch die allgemeine Attraktivität der Stadt zunehmen. Durch diese werden nicht nur Tourist*innen in die Stadt gebracht, sondern auch Fach- und Arbeitskräfte können durch eine hohe städtische Lebensqualität und Attraktivität besser angesprochen werden. „Insofern kann eine attraktive Innenstadt (…) durchaus als ein relevanter lokaler Wirtschaftsfaktor angesehen werden.“ (Manfrahs 2020, 207).