SCHLAGLICHT

Schlagworte: Besucherlenkung, Zielgruppen und Märkte

Lassen sich Menschen lenken?

22. Juli 2021

© iStock.com/zjirousek

Prof. Dr. Pietro Beritelli ist Titularprofessor an der Universität St. Gallen und Vizedirektor am Forschungszentrum für Tourismus und Verkehr an der Universität St. Gallen und beschäftigt sich mit touristischen Besucherströmen. Im Rahmen des fünften Jahresdialogs zum Thema Besucherlenkung spricht er über das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage in einer Destination und über das kollektive Verhalten von Besucher*innen – und zieht dabei einen Vergleich zum Tierreich.

Der sogenannte Ameisenalgorithmus benennt die Art und Weise, wie Ameisen Futterquellen finden und über Pheromonspuren mit anderen Ameisen kommunizieren. Jedes Mal, wenn eine Ameise Futter findet, nimmt sie einen Teil des Futters mit und hinterlässt eine Pheromonspur. Solange die Attraktion der Futterquelle so stark ist, werden Ameisen stets den kürzesten Weg zur Quelle ausfindig machen – unabhängig davon, wie viele Hindernisse sich im Weg befinden. Ein Phänomen, das nicht steuerbar oder lenkbar ist. Andere Ameisen folgen dieser Spur, die sich mit der Zeit immer weiter konzentriert und letztendlich dazu führt, dass sich eine Ameisenstraße bildet. Jede Ameise, die der Spur folgt, wird sehr wahrscheinlich Futter finden. Die Spur existiert so lange, bis kein Futter mehr vorhanden ist.

In der Tierwelt sind viele dieser Bewegungen, die sozial sind und kollektiv dasselbe tun, durch einfache Regeln geprägt. Diese Regeln helfen den einzelnen Tieren im Kollektiv in einer komplexen, dynamischen Umwelt zu überleben.

Auch Menschen folgen einem ähnlichen Muster, wenn davon ausgegangen wird, dass sie Teil dieser Naturwelt sind. So gehen Tourist*innen trotz einer Vielfalt an Möglichkeiten und Freiheitsgraden meist die gleichen Wege – eine Tatsache, die im Tourismus oft unterschätzt wurde.

Als Beispiel führt Prof. Dr. Pietro Beritelli an: Tourist*innen, die ohne Ziel in einer Stadt ankommen, werden unweigerlich an die Orte gelangen, an denen ein entsprechendes Angebot herrscht. Zugleich passt sich das Angebot aber auch der Nachfrage an. Als Beispiel nennt er Einkaufsstraßen in der Nähe von Bahnhöfen oder etwa Verkaufsstände auf einem Veranstaltungsgelände.

Im Tourismus wurden über Jahre hinweg (touristische) Angebote, wie zum Beispiel Sehenswürdigkeiten, singulär betrachtet, statt die Besucherströme der Gäste zu identifizieren. Besucherströme, also das kollektive Verhalten von Besucher*innen, zu analysieren und dies durch entsprechende Technik zu unterstützen, ist für die Prognosen des Verhaltens und der Bewegungsmuster von Tourist*innen von Bedeutung.

Bei der Analyse von Besucherströmen zeigt sich, dass Destinationen weniger als Flächen zu betrachten sind, sondern aus Point of Interests bestehen, die durch die Bewegung der Besucher*innen miteinander verbunden werden. Somit entstehen touristische oder weniger touristische Orte. Unabhängig von kulturellen Prägungen folgen also auch Menschen häufig einfachen Heuristiken. In Destinationen bewegen sich Besucher*innen trotz eines breiten Spektrums an Möglichkeiten meist kollektiv. Dabei zeigt sich, je stärker die Anziehungskraft des Angebots ist, desto eher werden Gäste kommen und desto größer werden Besucherströme.

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