NACHGEFRAGT

Schlagworte: Zielgruppen und Märkte, Corona-Pandemie

Stimmungsbild aus der Wissenschaft: Post-Corona-Perspektiven

11. Januar 2021

Was sagen Tourismuswissenschaftler zur aktuellen und zukünftigen Lage des bayerischen Tourismus? Das Bayerische Zentrum für Tourismus hat sechs von ihnen dazu befragt. Der Blick richtet sich dabei auf mögliche langfristige Änderungen auf der Angebots- und Nachfrageseite und auf wichtige Handlungsfelder, die für den gesamten bayerischen Tourismus zukünftig eine Rolle spielen.

Stimmungsbild

Mit Adjektiven wie „existenzgefährdend“, „unplanbar“ oder „ruinös“ bewerten die Wissenschaftler die aktuelle Lage in der bayerischen Tourismusbranche. Dabei ist sie neutral betrachtet vor allem „einzigartig“ und „außergewöhnlich“. Ähnlich wie in den Stimmungsbildern der Tourismusakteure und Politiker gibt es auch positive Blicke in die Zukunft, was die Wörter „chancenbietend“ und „hoffnungsvoll“ belegen.

Die Wissenschaftler gehen überwiegend davon aus, dass sich Touristen aus Deutschland auch in den nächsten Jahren stärker auf innerdeutsche Reiseziele und erdgebundene Reisen fokussieren werden und das Thema ökologische Nachhaltigkeit wieder in den Vordergrund rückt. Gäste werden nach exklusiven und abwechslungsreichen Angeboten suchen – auch in B- und C-Lagen -, bei denen das Erlebnis, die Erholung und die Nähe zur Natur im Mittelpunkt stehen. Nachfragerückgänge dürften sich im Geschäftsreisesegment manifestieren, mit direkten Auswirkungen auf Stadthotellerie, Flughäfen und Fluggesellschaften.

Hinsichtlich möglicher Änderungen auf der Angebotsseite sind die Meinungen der Wissenschaftler etwas differenzierter. Zum einen wird davon ausgegangen, dass das Angebot qualitativ und quantitativ deutschlandweit ansteigen wird, an anderer Stelle wird eher eine Reduktion des Angebots in Folge der Corona-Pandemie erwartet. Themen wie Kapitalbeschaffung, Innovation, Investition, Digitalisierung und Flexibilität waren bereits vor der Krise Schwachstellen innerhalb der Tourismusbranche. COVID-19 macht diese Bereiche zu dringenden Handlungsfeldern. Die Corona-Pandemie kann aus Sicht der Wissenschaftler beides sein – Krise und Chance.

Als wichtige Handlungsfelder benennen die Wissenschaftler unter anderem folgende Themen:

  • Zielgerichtete und kundenorientierte Digitalisierung der Branche (Angebotsstruktur, Ausbau des Mobilfunknetzes, Kompetenz der Dienstleister, E-Tourism, Smart Tourism)
  • Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung (Konzepte, Innovationen, Umsetzungskampagnen, Aufklärung/Wahrnehmung, Verhalten, Mobilität)
  • Destinationsentwicklung im Einklang mit Touristen und Einheimischen
  • Verbesserte Servicequalität der Leistungsträger
  • Zukünftige Krisenprävention

Prof. Dr. Burkhard von Freyberg

Hochschule München

Wie würden Sie die jetzige Situation des Tourismus in Bayern mit maximal fünf Adjektiven beschreiben?

abwartend, bedrückend, nicht planbar, inlandsorientiert, einfallsreich

Erwarten Sie auf der Nachfrageseite dauerhafte Veränderungen? Wenn ja, welche?

In Zukunft werden Hygiene und Sicherheit eine größere Rolle im Tourismus spielen. Die Reisen in den nächsten Jahren werden bewusster und inlandsorientierter geplant und der Tourismus in Deutschland wird daher dauerhaft gestärkt. Wie bereits vor der Krise werden besondere Hotelangebote nachgefragt werden, die sich entweder über den Preis oder das Produkt von anderen abheben. Weiterhin werden digitale Lösungen im Dienstleistungsprozess von den Nachfragern gesucht und erwartet werden. Zudem wird das Thema ökologische Nachhaltigkeit wieder in den Vordergrund rücken. Auch Geschäftsreisen werden in Zukunft bewusster ausgewählt werden. Digitale Möglichkeiten der Kommunikation haben sich in der letzten Zeit bewährt und werden zukünftig einen Teil der persönlichen Zusammenkünfte im Arbeitsbereich ersetzen. Im Hinblick auf internationale Gäste wird auch die Entwicklung der Airline-Industrie entscheidend sein.

Wird es auf der Angebotsseite Ihrerseits dauerhafte Veränderungen geben? Wenn ja, welche?

Hoteliers werden ihre betrieblichen Abläufe optimieren und versuchen, ihre Betriebe krisenresistenter aufzustellen. Dazu wird auch die effizientere und unabhängigere Gestaltung der Personalsituation zählen. Auch die Nachrüstung im Hinblick auf Sicherheit und Hygiene in den Hotels wird eine zentrale Aufgabe darstellen. Tagungs- und Konferenzhotels werden weniger Nachfrage generieren und daher neue Angebote ergänzen (bspw. Co-Working, Serviced Apartments). Hingegen wird die Betreibung von Hotel garnis (Hotels nur mit Frühstück) aufgrund der gegenüber Vollhotels niedrigeren Aufwandstruktur und geringeren Abhängigkeit von Küchen- und Servicepersonal noch attraktiver. Das Angebot wird qualitativ und quantitativ deutschlandweit ansteigen. Die Bereinigung des Hotelmarktes wurde durch die Corona-Pandemie beschleunigt und wird auch in den nächsten Monaten noch weitere finanziell schlecht situierte Betriebe treffen. Der Anteil der Markenhotellerie in Deutschland wird weiter und auch schneller ansteigen, da sich diese vermehrt nun auf weniger besiedelte Märkte drängen.

Welches sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten zukünftigen Handlungsfelder für den gesamten Tourismus in Bayern? Wie müssen diese Maßnahmen politisch flankiert werden?

1. Overtourism: Nach dem Motto „Der Tourist zerstört das, was er sucht, indem er es findet“ wird auch in Zukunft die Zusammenarbeit von Tourismus, Politik und Bevölkerung essentiell sein, um einen nachhaltigen Tourismus zu schaffen.

2. Nachhaltigkeit: Verkehrsthemen aber auch Regelungen (bspw. zum Plastikverbot) spielen sowohl für den Tourismus als auch für die Politik eine Rolle und erfordern einen partnerschaftlichen Austausch.

3. Krisenprävention: Die zentralen Fragen sind hierbei, wie Tourismusbetriebe sich auf gegenwärtige und zukünftige Krisen besser vorbereiten können, wie lokale und nationale Gäste beziehungsweise Besucher gewonnen werden können und zeitgleich eine gewisse Unabhängigkeit von internationalen Gästen erreicht werden kann. Die „Learnings“ aus der Corona-Pandemie müssen zu gegebener Zeit gezogen und aufgearbeitet werden.

Prof. Waldemar Berg

Technische Hochschule Deggendorf

Wie würden Sie die jetzige Situation des Tourismus in Bayern mit maximal fünf Adjektiven beschreiben?

erdrückend, gefährlich, ruinös, hoffnungsvoll, kämpferisch

Erwarten Sie auf der Nachfrageseite dauerhafte Veränderungen? Wenn ja, welche?

Ja, ich erwarte dauerhafte Veränderungen in der Reduktion von Entfernungen zwischen Wohnort und Urlaubsort bei Urlaubsreisen, mehr erdgebundene Reisen innerhalb Europas sowie einen höheren Anteil von Urlaubsreisen innerhalb von Deutschland.

Wird es auf der Angebotsseite Ihrerseits dauerhafte Veränderungen geben? Wenn ja, welche?

Auf Anbieterseite wird es unter anderem zu einer stärkeren Flexibilisierung der Angebotsvarianten – geänderten Storno- und Umbuchungsbedingungen zugunsten der Kunden – sowie zu Preissteigerungen nach der Corona-Pandemie kommen. Auch werden viele Anbieter aufgrund der aktuellen Situation ihren Marktaustritt erklären und es wird in der Folge zu einer Reduktion des Angebotes kommen.

Welches sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten zukünftigen Handlungsfelder für den gesamten Tourismus in Bayern? Wie müssen diese Maßnahmen politisch flankiert werden?

Die Handlungsfelder sind: Ertüchtigung und gegebenenfalls Neuausrichtung des Angebotes, verstärkte sowie verbesserte Kommunikation und Präsentation des touristischen Angebotes sowie deutlich mehr Forschung zu tourismusrelevanten Themenbereichen als bisher. Flankiert sollten/müssen diese Maßnahmen durch weniger restriktive Ordnungspolitik, eine stärkere, zielgerichtete und effizientere Kommunikationspolitik der Maßnahmen durch den Freistaat Bayern sowie durch mehr Mittel seitens der Landesregierung (z. B. über Ministerien) für Forschung.

PD Dr. Markus Hilpert

Universität Augsburg

Wie würden Sie die jetzige Situation des Tourismus in Bayern mit maximal fünf Adjektiven beschreiben?

ernst, einzigartig, krisenartig, außergewöhnlich, existenzgefährdend

Erwarten Sie auf der Nachfrageseite dauerhafte Veränderungen? Wenn ja, welche?

Die Frage nach der Dauerhaftigkeit von Nachfrageänderungen kann nicht einfach durch die zwei Phasen „während“ und „nach“ der Pandemie beantwortet werden. Viel wichtiger ist derzeit die Phase des Übergangs, dessen Dauer und Geschwindigkeit von zahlreichen Faktoren abhängen: Der Verfügbarkeit von Impfstoffen oder Medikamenten, dem regionalen Rückgang der Infektionszahlen, der zielgruppenspezifischen Impfbereitschaft und Infektionsangst, dem Tempo der behördlichen Auflagenlockerungen oder dem Angebot und der Akzeptanz kontakt- und berührungsarmer Reise- und Urlaubsformen. Gerade der letzte Punkt wird meines Erachtens in der global langfristigen Übergangsphase eine große Rolle spielen, um noch bestehende Infektionsgefahren zu reduzieren. Zeitversetzt erwarte ich aber auch eine nachholende Entwicklung, weil private Reisepläne und -budgets dann komprimiert auf dem Markt eine Nachfrage aufgestauter Reiselust freisetzen werden.

Wird es auf der Angebotsseite Ihrerseits dauerhafte Veränderungen geben? Wenn ja, welche?

Die COVID-19-Pandemie zeigt die besondere Vulnerabilität der Visitor Economy gegenüber externen Schocks. Diese Erkenntnis lehrt erneut die besondere Bedeutung von Krisensicherheit, Resilienz und Risikomanagement für die gesamte Tourismusbranche. Die Coronakrise wird deshalb als kollektive, beinahe traumatische Erfahrung bewussten und unbewussten Einfluss auf die Angebotsseite haben. Sie wird Reize zu Anstrengungen für eine nachholende Entwicklung gleichermaßen freisetzen wie sie auch ein Bewusstsein für mehr Krisensicherheit, für eine geringere Fragilität oder für alternative Reaktionsmöglichkeiten auf spontane Situationsveränderungen schaffen wird. Nicht zuletzt werden aber auch die, durch Corona möglicherweise veränderten, Nachfragen innovative Änderungen der Angebotsseite hervorrufen, wenn aus sich wandelnden Bedürfnissen und Erwartungen der Reisenden auch neue Märkte resultieren, auf die dann Anbieter mit neuen Produkten, Dienstleistungen oder Destinationen reagieren können.

Welches sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten zukünftigen Handlungsfelder für den gesamten Tourismus in Bayern? Wie müssen diese Maßnahmen politisch flankiert werden?

Mit Blick auf die Coronakrise geht es aktuell um die Identifizierung und Entwicklung sicherer Reiseangebote, die wir unter dem Stichwort low touch tourism/no touch tourism zusammenfassen, also um Urlaubsformen ohne Gruppenbildungen und Warteschlangen, mit wenigen persönlichen Kontakten (etwa. durch touchless Check In & Check Out oder durch autonome Übernachtungseinheiten) und unter Vermeidung hochfrequentierter Oberflächen (sogenannter dirty pads, wie etwa Fahrstuhlknöpfe, Lichtschalter oder Türklinken durch Sprachsteuerung, Bewegungssensoren etc.). Zum zweiten wird zukünftig die Digitalisierung den Tourismus in Bayern noch stärker prägen als bisher, weil die Coronakrise hier wie ein Turbo-Trendbeschleuniger wirkt. Wir könnten einen großen Sprung vom e-tourism zum smart tourism erleben, der allerdings nur gelingt, wenn mit den technologischen Möglichkeiten auch umgegangen werden kann. Entsprechend kommt es auf die Fähigkeiten, die Neugier und die Akzeptanz bei Anbietern und Nachfragern an. Drittens wird aber auch über die Coronakrise hinweg das Thema Klimawandel mit all seinen Nachhaltigkeitsfacetten die Reisebranche prägen. Hier gibt es nach wie vor große Diskrepanzen zwischen den unterschiedlichen Interessensgruppen, zwischen öffentlicher Wahrnehmung und eigenem Verhalten oder zwischen den faktischen und potentiellen Möglichkeiten.

Prof. Dr. Felix Kolbeck

Hochschule München

Wie würden Sie die jetzige Situation des Tourismus in Bayern mit maximal fünf Adjektiven beschreiben?

herausfordernd, existenzgefährdend, heterogen, chancenbietend, wartend

Erwarten Sie auf der Nachfrageseite dauerhafte Veränderungen? Wenn ja, welche?

Ich erwarte nach der „akuten“ Corona-Phase keine gravierenden Nachfrageänderungen bei Freizeitaktivitäten und Urlaubseisen – weder bei der Menge noch bei der Struktur. Warum auch? Die grundlegenden Reisemotive haben sich nicht verändert. Kurzfristig mag es zu Verschiebungen kommen aufgrund von zurückgehenden Realeinkommen und einem veränderten Hygienebewusstsein. Bayern als Destination für Freizeitaktivitäten und Urlaubsreisen wird eher noch an Bedeutung gewinnen aufgrund der Nähe zu vielen relevanten Quellmärkten.

Letztlich bleiben wir Menschen soziale Wesen, wir suchen die Nähe und das Miteinander, auch auf Reisen und im Urlaub. Bei allem zur Schau getragenen Individualismus bleiben Menschen letztlich Herdentiere, weil sie selbst im exzessiv ausgelebten Hedonismus stets die Bestätigung durch andere suchen.

Größere und langfristig wirkende Nachfragerückgänge dürften sich im Geschäftsreisesegment manifestieren, mit direkten Auswirkungen auf die Stadthotellerie, auf Flughäfen und Fluggesellschaften. Aber selbst hier könnte es sein, dass die Effekte am Ende geringer ausfallen, als viele es heute erwarten.

Wird es auf der Angebotsseite Ihrerseits dauerhafte Veränderungen geben? Wenn ja, welche?

Viele Betriebe werden die Coronazeit liquiditätsbedingt nicht überleben, trotz Hilfsprogrammen. Dies gilt für Betriebe in Staaten ohne solch umfangreiche Hilfen noch viel stärker, was die eine oder andere Wettbewerbsverzerrung mit sich bringen wird.

Anbieter im Geschäftsreisesegment inklusive MICE werden die kommenden Monate sorgfältig beobachten müssen: Wie stark und nachhaltig sind die Nachfragerückgänge? Welche Alternativnutzungen können temporär oder dauerhaft in Betracht kommen?

Im Bereich der Freizeitaktivitäten und Urlaubsreisen sehe ich kaum Corona-induzierte Strukturveränderungen, weil sich die Nachfrage nicht strukturell verändern wird. Natürlich wird sich der eine oder andere Hotelbetrieb umstellen, zum Beispiel von asiatischen Reisegruppen auf die Ansprache nähergelegener Quellmärkte. Aber was, wenn sich die Nachfrage nicht dauerhaft in solche Richtungen verschiebt?

Hier stellen sich eher Fragen des Innovations-, Investitions- und Flexibilitätspotentials, was allerdings auch schon lange vor Corona der Fall war.

Welches sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten zukünftigen Handlungsfelder für den gesamten Tourismus in Bayern? Wie müssen diese Maßnahmen politisch flankiert werden?

1. Ausbalancierung der Interessen von Urlaubern, Reisenden und örtlichen Bevölkerungen:
– Stärkung und Attraktivierung der schienengebundenen An- und Abreisen
– Steuerung funktioniert ausschließlich über den Preis: Flexible Mautstraßen, höhere Parkgebühren an bestimmten (Wochen-)Tagen, Vorverkaufspflichten usw.
2. Förderung nachhaltiger, klimagerechter Angebote, aber intelligent statt ideologisch:
– Schwerpunkt auf An- und Abreise: Eine Winterreise aus München mit dem Auto in den Bayerischen Wald an Orte ohne Schienenanbindung ist allemal nachhaltiger als die Fernreise „in die Wärme“ – warum das verteufeln?
– Auch können große, moderne Hotels mit intelligenter Warenwirtschaft nachhaltigere Alternativen darstellen im Vergleich zu vielen kleinen Ferienhäuser und Pensionen.
3. Politische Flankierung:
– Deregulierung in der Hotellerie dort, wo Flexibilität nötig ist.
– Mutig, planungsregionsübergreifend denken und handeln: zum Beispiel neue Freizeitparks und Ferienhaussiedlungen ermöglichen in bislang touristisch weniger erschlossenen Gebieten, vgl. die holländischen Konzepte.
– Unternehmensgründungen und -übernahmen (Kindergeneration) fördern
– Digitalisierung zielgerichtet und kundenorientiert voranbringen: Keine Insellösungen, keine Apps, Blogs oder Informationsportale, die kaum ein potentieller Gast liest oder braucht, sondern die technischen Infrastrukturen und Bandbreiten dort schaffen, wo der real existierende Gast sie braucht für seine Standardanwendungen bei Orientierung, Ticketing, Bezahlwesen, Feedback usw.

Wie würden Sie die jetzige Situation des Tourismus in Bayern mit maximal fünf Adjektiven beschreiben?

ungewiss, abwartend, teils existenzbedrohend, robust, zukunftsorientiert

Erwarten Sie auf der Nachfrageseite dauerhafte Veränderungen? Wenn ja, welche?

Die Nachfrage nach günstigen Pauschalreisen in südliche Länder wird, sobald möglich, wieder zunehmen. Möglicherweise aber nicht auf dem Niveau wie vor der Pandemie in Bezug auf Quantität und Preise der Reisen. Kürzere Aufenthalte in Wohnort-näheren Urlaubsgebieten werden weiterhin beliebt bleiben. Hiermit verbinden die Gäste Planungssicherheit – nicht zuletzt bei Gesundheitsfragen. Die gezielte Auswahl der Reisedestination wird abhängig sein vom Grad der nachhaltigen Mobilität zur/in der Destination sowie der Angepasstheit an das veränderte Konsumverhalten (Naturliebe, Ruhe, Abstand, Sicherheit). Es wird zentral auf eine Bewusstseinsänderung der Gäste ankommen. Es ist daher nicht auszuschließen, dass breitere Bevölkerungskreise zukünftig bewusster an die Reiseplanung herangehen und Aspekte der Nachhaltigkeit in den Reiseentscheidungen stärker berücksichtigen. Wenn die potentiellen Gäste – auf den Erfahrungen der Pandemie aufbauend –sich dazu entschließen, nachhaltigere Reisen zu bevorzugen, könnte dies auch zu einer langfristigen Änderung der Nachfragemuster führen.

Wird es auf der Angebotsseite Ihrerseits dauerhafte Veränderungen geben? Wenn ja, welche?

Das Angebot für Campingliebhaber, aber auch das Angebot für Privatzimmer, Apartments oder „Urlaub am Bauernhof“ wird weiter oder wieder steigen. Die Angebotsseite ist zum einen im ländlichen Raum bei Klein- und Kleinstbetrieben durch eine Marktbereinigung gekennzeichnet, deren Effekte sich erst im Laufe der Zeit erkennen lassen. Es gibt eine Reihe von Chancen – sicherlich auch für Kleinstbetriebe mit einer entsprechenden Spezialisierung – aber auch Risiken, welche beispielsweise die Kapitalbeschaffung oder die Investitionsintensität betreffen. Insgesamt könnte sich der Trend zu Outdoor und Gesundheit verstärken, was dem Tourismus im ländlichen Raum gewiss einen Aufschwung beschert. Es zeichnet sich ein beträchtlicher Wandel im Städte- und Geschäftstourismus ab. Zumindest im Business-Travel-Segment wird verstärkt auf digitale Angebote und Plattformen zurückgegriffen, was viele bisher übliche Geschäftsreisen obsolet machen wird. Und obendrein ändern sich viele Tagungs-, Konferenz- und Messeformate, was ohne Zweifel auch im städtischen Hotelimmobilienbereich Spuren hinterlassen wird.

Welches sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten zukünftigen Handlungsfelder für den gesamten Tourismus in Bayern? Wie müssen diese Maßnahmen politisch flankiert werden?

1. Die Etablierung von nachhaltigen Geschäftsmodellen und die Befähigung der Leistungsträger aller Art für digitale Kompetenzen und Services.

2. Eine Destinationsentwicklung im Hinblick auf die Ausgewogenheit von Interessen der einheimischen Bevölkerung und der Touristen. Der Lebensraum der Einwohner steht zunächst im Vordergrund und gibt die Richtung der touristischen Entwicklung vor. Durch eine hohe Akzeptanz für den Tourismus an einem Standort wird die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen erhöht – und somit eine resiliente Destinationsentwicklung gefördert.

3. Eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Tourismuspolitik sollte steuern und moderieren: Lokalen Akteuren sollten Rahmenbedingungen geboten werden, innerhalb welcher sie befähigt werden, in partizipativen Prozessen ihre Destination sowie ihre Betriebe ganzheitlich und nachhaltig weiterzuentwickeln.

Prof. Dr. Harald Zeiss

Hochschule Harz

Wie würden Sie die jetzige Situation des Tourismus in Bayern mit maximal fünf Adjektiven beschreiben?

kritisch, ungewiss, angespannt, abwartend, unvorhersehbar

Erwarten Sie auf der Nachfrageseite dauerhafte Veränderungen? Wenn ja, welche?

Die Nachfrage nach attraktiven und abwechslungsreichen Angeboten wird wachsen. Internationale Gäste werden sich mehr Zeit für den Besuch von Attraktionen nehmen und auch anfangen, B-Lagen zu erkunden. Mehr Wert wird auf Qualität und Erlebnis gelegt. Gleichzeitig werden die Ansprüche der internationalen Gäste wachsen und vor allem der Servicebereich wird sich deutlich verbessern müssen. Absolute Kundenorientierung auf internationalem Niveau und ein hohes Maß an verlässlich, gleichbleibender Servicequalität. Gerade vor dem Hintergrund der vielen Bewertungsmechanismen wird es immer kritischer, dass durchweg mehr als 90 Prozent der Gäste zufrieden sind.

Die Inlandsnachfrage wird ebenfalls in die B- und C-Lagen ausweichen, weil die A-Lagen entweder zu voll sind oder bereits besucht wurden. Auch hier wird das Thema Servicequalität ein wichtiger Faktor sein. Darüber hinaus werden Gäste nach exklusiven und abwechslungsreichen Angeboten suchen (kleine Eskapaden, besondere Momente, emotionale Erlebnisse). Ursprüngliche Angebote sind zahlreich vorhanden – was fehlt, ist eine kundenorientierte und gut kommunizierte Inwertsetzung der Attraktionen.

Wird es auf der Angebotsseite Ihrerseits dauerhafte Veränderungen geben? Wenn ja, welche?

Die Angebotsseite wird sich in der ersten Zeit verkleinern. Insolvenzen und dünne Kapitaldecken werden ein reduziertes Angebot diktieren. Darüber hinaus werden sich viele Leistungsträger zurückhaltend zeigen, solange es unklar ist, ob die Corona-Gefahren tatsächlich überwunden sind. Sobald dies der Fall ist, können die Leistungsträger wieder voll funktionieren und ihr Angebot hochfahren, zumal die Mitarbeiter durch Kurzarbeit an die Unternehmen gebunden sind. Im weiteren Verlauf wird die bereits angestoßene und durch die Krise forcierte Digitalisierung auch von touristischen Leistungen immer wichtiger werden. Prozesse können damit kostengünstiger durchgeführt werden und Anbieter preisagressiver auftreten. Außerdem sind Konzentrationen durch den Einkauf wirtschaftlich angeschlagener Mitbewerber zu erwarten. Damit entstehen Synergieeffekte, die vorteilhaft für das Angebot und damit für die Nachfrager sind.

Welches sind aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten zukünftigen Handlungsfelder für den gesamten Tourismus in Bayern? Wie müssen diese Maßnahmen politisch flankiert werden?

1. Servicequalität: Das Land Bayern sollte weiterhin in die Servicequalität der Leistungsträger investieren. International betrachtet sind die Leistungen und die Bereitschaft zur Kundenorientierung an vielen Stellen immer noch Mittelfeld. Erreicht werden kann das sowohl durch die Förderung von entsprechenden Trainings sowie eines Qualitätsmechanismus, der schon im Vorfeld negative Entwicklungen identifiziert und korrigieren kann. Einige Softwarelösungen bieten dieses „Frühwarnsystem“. Underperformer sollten dazu angehalten werden, höhere Qualitätsstufen zu erreichen, um das Gesamtprodukt „Bayerntourismus“ nicht zu gefährden.

2. Digitalisierung: Aktuell sind die Entwicklungen im Bereich der digitalen Lösungen (Apps, Buchungsplattformen, Social Media) so schnell, dass Leistungsträger kaum mithalten können. Gerade im internationalen Umfeld wissen viele Marktteilnehmer nicht gut genug, welche Lösungen ihre Gäste nutzen und welche Möglichkeiten und Auswirkungen dies für ihr Geschäftsfeld hat. Hier sollte die Politik in die Weiterbildung / Beratung der Akteure investieren. Der Handynetzausbau in Bayern muss weiter vorangetrieben werden (5G) und alle touristischen Gebiete erfassen – gerade auch abseits der Ballungszentren.

3. Nachhaltigkeit: Der Tourismus in Bayern sollte nachhaltige Angebote massiv ausbauen. Derzeit erleben wir, dass soziale Verantwortung und der Schutz ökologischer Ressourcen immer mehr in der Mitte der Gesellschaft ankommen. Während heute noch in weiten Teilen unklar ist, was das für den einzelnen Urlauber bedeutet, wird sich das Wissen um den eigenen Fußabdruck auf die Nachfrage nach touristischen Leistungen auswirken. In erster Linie sind davon die Unterkünfte, die Gastronomie und die Mobilität betroffen. Neben den klassischen Fortbewegungsmitteln (Auto, Bahn, Flug) sollten daher alternative Angebote (e-Mobility, Car-Sharing, Leihfahrräder etc.) noch besser ausgebaut werden – idealerweise mit Apps, die sich in ganz Bayern nutzen lassen und für die (internationalen) Gäste eine einfache UX aufweisen. Außerdem gibt es noch viel Potenzial bei der Ernährung (regionale Lebensmittel, saisonale Angebote, alte/traditionelle Rezepte, Bio, Vegetarisch, Vegan). Schließlich sollten auch Gasthöfe und Hotels auf eine nachhaltigere Unterbringung achten und in den Klimaschutz investieren.

Mehr zum Thema