BEST PRACTICE

Schlagworte: Zielgruppen und Märkte, Fachkräftesicherung

Kooperation statt Konkurrenz – Regionale Arbeitskräftesicherung in der Praxis

Von Alicia Storch, 5. Juli 2022

© Allgäu GmbH

Der Arbeits- und Fachkräftemangel ist allgegenwärtig und betrifft in gleichem Maße Unternehmen, Branchen und Regionen. Während Auszubildende und Berufseinsteiger*innen noch vor wenigen Jahren Probleme bei der Jobsuche hatten, gehen die Zahlen der Auszubildenden und Studierenden stetig zurück. Zugleich scheiden geburtenstarke Jahrgänge rentenbedingt aus dem Berufsleben aus, was den Arbeits- und Fachkräftemangel verstärkt. Eine weitere Herausforderung bei der Gewinnung neuer Arbeitskräfte ist der Wertewandel: Junge Menschen stellen sich heute nicht mehr nur die Frage „Wo will ich arbeiten?“, sondern auch „Wo will ich leben?“. Dabei möchten sie überwiegend in ihrer Heimatregion bleiben.

Gefragt sind daher zunehmend attraktive Arbeits- und Lebensräume in positiv besetzten Regionen – ein Anspruch, dem Einzelunternehmen kaum gerecht werden können. Wenn es um die Sicherung von Arbeitskräften geht, sind somit immer mehr Kooperationen und regionale Zusammenschlüsse gefordert, um gemeinsame Projekte zu initiieren. Die Region Allgäu reagierte darauf mit der Jobchallenge Allgäu im Jahr 2017/18 und als Weiterführung der Aktion mit der Job-WG Allgäu im Jahr 2021.

Jobchallenge Allgäu und Job-WG Allgäu

„Eine Person lernt 30 Jobs in 30 verschiedenen Unternehmen in 180 Tagen kennen“ – das war die Grundidee der Jobchallenge Allgäu. Um dem Arbeits- und Fachkräftemangel in der Region entgegenzuwirken und die attraktiven Jobmöglichkeiten im Allgäu herauszustellen, wurde 2017 die Jobchallenge Allgäu initiiert. Begleitet wurde die Aktion von einer umfangreichen Digitalkampagne, insbesondere in den Sozialen Medien.

Die Initiative erfolgte durch die Allgäu GmbH, Gesellschaft für Standort und Tourismus, im Rahmen des Regionalmanagements. Hintergrund war der Rückgang der Auszubildendenzahlen sowie der zunehmende Arbeitskräftemangel in der Region – und zwar über alle Branchen hinweg. Dem sollte entgegengewirkt werden, indem die Aktion ein strategisches Fachkräftemarketing und Employer Branding in Verbindung mit der Dachmarke Allgäu initiiert.

Employer Branding

Employer Branding ist ein strategischer Ansatz des Personalmanagements, der darauf abzielt, eine Arbeitgebermarke aufzubauen und den Betrieb von anderen potenziellen Arbeitgebern abzuheben. Das Unternehmen soll als attraktiver Arbeitgeber positioniert werden, um die Wahrnehmung des Unternehmens am Arbeitsmarkt zu verbessern, besser qualifiziertes Personal anzusprechen, Mitarbeiter*innen langfristig zu binden und schlussendlich die Leistungsfähigkeit des Unternehmens zu erhöhen sowie Kosten für Personalakquise und Einarbeitung zu reduzieren. Dabei müssen das Personalmanagement und die Unternehmenskommunikation optimal ineinandergreifen, um ein glaubwürdiges Image zu entwickeln, die Arbeitgebermarke zu etablieren und diese nach innen und außen zu leben. Besondere Bedeutung bekommt das Employer Branding im Tourismus als Dienstleistungsbranche, in der das Personal ein entscheidender Erfolgsfaktor von Unternehmen ist.  

Innerhalb eines halben Jahres schnupperte die 25-jährige Jobhopperin Annabell in 30 Allgäuer Unternehmen aus verschiedenen Bedarfsbranchen, probierte 30 Jobs aus und erlebte 30 Arbeitsalltage. Durchlaufen wurden Jobs in Großkonzernen ebenso wie in Start-ups, kleinen Handwerksbetrieben und großen Industrieunternehmen. Die beteiligten Partner hatten die Möglichkeit, ihre Unternehmen als attraktive Arbeitgeber zu präsentieren und jeweils einen Beruf in ihrem Betrieb vorzustellen. Zu jedem getesteten Job schrieb die Testerin wöchentliche Blogbeiträge inklusive Fotos und Videoclips, die kurz das Unternehmen, die durchlaufenen Stationen sowie den persönlichen Eindruck der Jobhopperin beschrieben. Der abschließende Steckbrief fasste zusammen, für wen der Job geeignet ist, was Bewerber*innen mitbringen müssen, welche Tagesaufgaben es gab und was das absolute Highlight war. Über einen Link gelangen Interessierte auf die Unternehmenswebeseite beziehungsweise direkt zu den Stellenausschreibungen. Gefördert wurde das Projekt im Zuge des Regionalmanagements mit Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie.

Im Ergebnis entstanden mit einem Mitteleinsatz von rund 30.000 Euro Produktionsbudget 31 (Blog-) Beiträge, die junge Menschen zum Leben und Arbeiten im Allgäu inspirieren sowie begleitende Kurzvideos und Social-Media-Posts. Im Projektzeitraum wurden rund 31 Millionen Personen in Sozialen und Online- sowie über Printmedien und Radio erreicht, die Webseite standort.allgaeu.de steigerte ihre Seitenaufrufe um 120 Prozent. Dabei profitierte die Kampagne von der großen Reichweite der Kanäle der Allgäu GmbH. Zielgruppe der Kampagne waren junge Menschen der Generation Y, die im Allgäu gehalten oder in die Region (zurück-)gezogen werden sollten. Das Nutzerverhalten des Blogs zeigte, dass die Kampagne ihr Ziel erreicht hatte: Die User*innen stammten vor allem aus Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, der Großteil war zum Zeitpunkt der Kampagne zwischen 25 und 45 Jahre alt.

Insgesamt war die Jobchallenge Allgäu so erfolgreich, dass die Allgäu GmbH eine Sonderförderung für regionale Zukunftsprojekte in Höhe von 150.000 Euro erhielt und mit Preisen wie dem ausgezeichnet wurde. Die Preisrichter bewerteten vor allem die digitale Umsetzung, die Messbarkeit der Ergebnisse und den effizienten Mitteleinsatz besonders positiv. Durch die gemeinsame Durchführung der Kampagne und die gebündelten Mittel konnten ein breites Spektrum möglicher Berufe sowie das Allgäu als lebenswerte Region vorgestellt werden. Damit griff das Projekt ein aktuelles Problem der Generation Y auf, der zahlreiche berufliche Entwicklungsmöglichkeiten offenstehen, die zugleich aber das Problem hat, sich aus der Vielfalt für eine Option zu entscheiden.

Durch den großen Erfolg wurde die Jobchallenge Allgäu 2021 mit der Job-WG Allgäu fortgesetzt. Dieses Mal testeten drei Jobhopperinnen insgesamt 30 Berufe und berichteten intensiv über den eigenen Blog und Instagram sowie die Social-Media-Kanäle der Allgäu GmbH (Facebook, LinkedIn, Xing). Das (WG-)Leben im Allgäu und die weichen Standortfaktoren der Region standen beim zweiten Durchlauf noch stärker im Fokus, begleitet wurde das Projekt zudem von einem professionellen Team für die Contentgenerierung und -distribution.

Um den Erfolg der beiden Projekte fortzuführen, plant die Allgäu GmbH aktuell bereits die nächste Kampagne.

Weitere Praxisbeispiele

Auch in Norddeutschland reagieren Destinationen mit branchen- und unternehmensübergreifenden Kampagnen auf den Arbeits- und Fachkräftemangel.

Die Sylt Marketing GmbH launchte im Februar 2022 die Marketing-Offensive #inselleben, die Sylt als attraktiven Arbeits- und Lebensraum vorstellt. Im Zentrum der Kampagne stehen elf Videos von Insulaner*innen, die von ihrem Leben auf Sylt berichten. Ebenso wurde die Internetseite überarbeitet: Neben den Videos gibt es Informationen zu Jobs und Ausbildungen, zum Wohnen und zu Freizeitaktivitäten auf Sylt sowie ein branchenübergreifendes Jobportal. Auch eine persönliche Ansprechpartnerin ist benannt.

Das Nordsee Kollektiv hingegen ist ein Zusammenschluss von Hoteliers und Gastronom*innen in St. Peter-Ording, die sich überbetrieblich um die Mitarbeiter*innen kümmern und sie an die Region binden wollen. Ziel ist, den Arbeitskräften eine langfristige Perspektive in den Bertrieben und am Standort aufzuzeigen und eine Gemeinschaft zu bilden. Dazu gibt es betriebsübergreifende Karriere- und Ausbildungsmöglichkeiten, gemeinsame Veranstaltungen sowie Anreize und Vergünstigungen für die Mitarbeiter*innen (unter anderem Onboarding-Veranstaltungen, ein Mitarbeiterwohnhaus und die Crew-Card mit Vergünstigungen zum Einkaufen und für Freizeitangebote). Die modernen Recruiting-Formate und attraktiven Mitarbeiterbindungsmaßnahmen des Nordsee Kollektivs wurden 2021 mit dem Hospitality HR Award honoriert. Die Initiative zum Nordsee Kollektiv erfolgte 2020 durch drei Hoteliers und Gastronom*innen, die jeweils zu klein waren, um größere Recruiting-Projekte selbst umzusetzen und sich daher zusammengeschlossen haben. Heute gehören dem Kollektiv fünf Unternehmen an. Es gibt eine eigene Geschäftsführung, die gemeinsame Maßnahmen und den Außenauftritt kontinuierlich weiterentwickelt.

Learnings

Insgesamt zeigen die Jobchallenge Allgäu, #inselleben Sylt und das Nordsee Kollektiv, wie die Bündelung von Ressourcen helfen kann, dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken, das Recruiting und Employer Branding zu verbessern und gemeinsam eine Region als attraktiven Arbeits- und Lebensort zu vermarkten.

Touristische Unternehmen sind zumeist Klein- bzw. Kleinstunternehmen und haben daher Schwierigkeiten, ein professionelles Personalmanagement umzusetzen. Oft fehlen Ressourcen und Know-How für zeitgemäßes Recruiting, nachhaltiges Employer Branding und das Bilden von Arbeitgebermarken. Im Verbund können Hürden hierfür minimiert werden, indem die Partner Ressourcen bündeln, Kosten senken und eine größere Reichweite erzielen. Dabei spielt nicht nur die professionelle Generierung von Content, sondern auch dessen Distribution eine entscheidende Rolle für den Kampagnenerfolg. Die Maßnahmen zur Personalgewinnung bzw. -bindung sollten dabei nicht als Einzelprojekte erfolgen, sondern auf Basis einer langfristigen Strategie umgesetzt werden.

Die Jobchallenge Allgäu und die Job-WG Allgäu sind dabei wegweisende Best-Practice-Beispiele, die zeigen, wie es als Teil einer langfristigen Strategie gelingen kann, die Standort- und Arbeitgebermarken zu stärken und das Employer Branding zu professionalisieren. Aus der Umsetzung der beiden Kampagnen und ihren positiven Effekten lassen sich Erkenntnisse für künftige Projekte zur regionalen Arbeitskräftesicherung ableiten.

Das Besondere an der Jobchallenge Allgäu und der Job-WG Allgäu war der regionale und branchenübergreifende Ansatz, der das Allgäu nicht nur als Arbeits- sondern auch als Lebensraum vorstellte und somit weit über die touristische Imagebildung hinausging. Die vielfältigen Job-Möglichkeiten bei verschiedenen, attraktiven Unternehmen standen daher im Fokus. Als gemeinsame Klammer fungierte die Dachmarke Allgäu. Durch die Kampagnen ist es gelungen, einen gemeinsamen, innovativen Ansatz des Employer Brandings zu realisieren, das strategische Recruiting zu verbessern, interessante Jobbilder in den Fokus zu rücken und die langfristige Profilierung des Allgäus als führenden Gestaltungsraum für Leben und Arbeiten im ländlichen Raum zu festigen. Während der Kampagnenlaufzeit profitierten sowohl die Allgäu GmbH als auch die teilnehmenden Unternehmen von einer gesteigerten Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken und Online-Medien. Auf Basis der Projektevaluierung verzeichneten rund 70 Prozent der Partnerunternehmen als direkte Folge der Jobchallenge Allgäu Kontaktanfragen bzw. Bewerbungen und rund 80 Prozent planten, langfristig etwas an ihrem Recruiting zu ändern. Hinzu kam die langfristige Wirkung: Der generierte Content kann nach wie vor von der Allgäu GmbH und den Partnerunternehmen genutzt und beispielsweise auf den Jobportalen der Unternehmen eingebunden werden. Die bestehenden Mitarbeiter*innen selbst sind stolz, Teil der Videos und Kampagne zu sein. Zudem haben sich die Partnerunternehmen vernetzt, Synergien geschaffen und sind gemeinsam aufgetreten, um die Region als Ganzes zu bewerben. Durch die authentischen und glaubwürdigen Kampagneninhalte konnten die Marke Allgäu sowie die einzelnen Unternehmen gestärkt werden. Und nicht zuletzt haben auch Allgäuer*innen die Bandbreite der Karrierechancen und Lebensqualität ihrer Region aus der Sicht der Jobhopperinnen erleben dürfen.

Erfolgsfaktoren der Jobchallenge Allgäu waren neben der professionellen Umsetzung und Begleitung durch die Allgäu GmbH, die bereits auf Kampagnenerfahrung und eine vorhandene Reichweite in Sozialen und Online-Medien zurückgreifen konnte, auch die Unterstützung durch Fördermittel sowie das gute Miteinander mit den beteiligten Unternehmen. „Die Kampagne steht und fällt mit den Partnerbetrieben.“, betont der Marketingleiter der Allgäu GmbH Stefan Egenter. „Das Ganze ist kein Selbstläufer. Daher muss der Nutzen für die beteiligten Partner klar kommuniziert werden: Das eigene Unternehmen ins Schaufenster der Region und der Marke Allgäu stellen, sich langfristig als attraktive Arbeitgebermarke positionieren und neue Wege des Recruitings gemeinsam mit anderen Partnern gehen.“

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