ONLINE-FORUM

Spannungsfeld Alltagsraum und Urlaubs(t)raum

live am 24. Juni 2021 I 10.00 bis 11.30 Uhr

Unsere Gäste

Prof. Dr. Harald Pechlaner

Lehrstuhl Tourismus und Zentrum für Entrepreneurship
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Angelika Schäffer

Geschäftsführerin
Tourismusverband Franken e. V.

Stefan Fredlmeier

Tourismusdirektor
Füssen Tourismus und Marketing

PD Dr. Philipp Namberger

Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie und Tourismusforschung
Ludwig-Maximilians-Universität München

Die Konferenz im Überblick

Im Fokus der interaktiven Zoom-Konferenz steht die Frage, wie sich Destinationen aktuell und zukünftig ausrichten können, um die Tourismusakzeptanz bei den Einheimischen zu erhalten oder zu verbessern – ohne gleichzeitig an Attraktivität bei Reisenden einzubüßen. Mit den Gästen sprechen wir über aktuelle und bereits länger bestehende Konfliktfelder zwischen Reisenden und Bereisten sowie über mögliche Ansätze für deren Lösung.

Schon 1980 fragt Prof. Dr. Robert Jungk „Wie viel Touristen pro Hektar Strand?“ (Geo, 10/1980). Das Thema der Tragfähigkeit wird in der Tourismuswissenschaft schon seit vielen Jahren diskutiert, wie der Moderator und wissenschaftliche Leiter des Bayerischen Zentrums für Tourismus Prof. Dr. Jürgen Schmude zu Beginn erläutert. Neben Aspekten, die die Rahmenbedingungen von Tourismuskapazitäten an einem Ort beleuchten, werden in der heutigen Forschung vor allem die ökonomische Tragfähigkeit – also etwa steigende Immobilienpreise aufgrund hoher Tourismusintensität – und die psychologische/perzeptuelle Tragfähigkeit – Auswirkungen auf den Alltag der Einheimischen und die Erlebnisqualität der Touristen – betrachtet.

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Und so rückt auch in der Praxis immer mehr die Frage in den Vordergrund, wie eine Tourismuszukunft gelingen kann, von der sowohl der Gast als auch Einheimische profitieren können. Dabei sind die Problemfelder komplex: Tourismusakzeptanz, Lebensqualität, Wirtschaftsfaktor, Mobilität, Tourismusintensität…

Neue Ansätze in der Tourismusentwicklung

Prof. Dr. Harald Pechlaner verweist in seinem Vortrag darauf, dass es eine neue Form der Tourismusentwicklung und auch neue Ansätze in der Forschung braucht, um die Herausforderungen zu bewältigen. Als Beispiel, wie es auch anders gehen kann, nennt Pechlaner die Stadt Wien, die mit einer neuen Strategie das Social-Design in den Mittelpunkt stellt. Die wesentlichen Fragen dabei lauten: Was kann der Gast für die Stadt tun und wie schafft man Begegnungen statt nur reiner Erlebnisse? Es sei jetzt an der Zeit, interdisziplinär zu agieren und Erkenntnisse beispielsweise aus der Geografie, Psychologie und den Wirtschaftswissenschaften miteinzubeziehen. Auch die Bürgerbeteiligung muss neu interpretiert, innovative Konzepte entwickelt und zeitgemäße Narrative gefunden werden. Denn, so Pechlaner: “Bürgerbeteiligung ist dann gut, wenn nicht fertige Konzepte den Bürgern präsentiert werden, sondern diese von Beginn an in die Erstellung dieser Konzepte eingebunden werden.“ Pechlaner plädiert dafür, in Findungsprozessen mit den Bürgern die „großen“ Fragen zu stellen: Welchen Gast wollen wir? Wo wollen wir uns als Standort hin entwickeln? Wie kann ein gutes Leben und Wirtschaften gelingen? Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus? Welche Raumordnung ist die richtige?

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Tourismusakzeptanz durch Bürgerbeteiligung und Lenkungsmaßnahmen

Angelika Schäffer verweist in der Diskussion immer wieder darauf, dass Aufklärungsarbeit ein wesentlicher Schritt ist, um Bürger*innen vor Ort sowie Gäste miteinzubeziehen und für „Harmonie“ zu sorgen –  auch wenn dies ein langwieriger Prozess sei. Vor allem über Social-Media-Kampagnen und Pressearbeit gelingt es so in Franken, Besucher*innen zu lenken und beispielsweise an weniger bekannte und weniger frequentierte Orte zu führen. In ländlichen Regionen jedoch, so Schäffer, sei die Überforderung durch ein erhöhtes Verkehrsaufkommen oder liegen gebliebenen Müll durch Tourist*innen oder Tagesausflügler*innen oft höher als in der Stadt, wo „man als Einheimischer und Gast eher akzeptiert, dass es voll und laut ist“. Schäffer plädiert: „Wir müssen wieder lernen mehr Respekt vor unserem Lebensraum und der Natur zu entwickeln.“

PD Dr. Philipp Namberger schildert konkrete Konfliktfelder zwischen Tourist*innen und Bewohner*innen innerhalb der Stadt München. Dabei verweist auf eine Umfrage unter Münchner*innen aus dem Jahr 2018, die unter anderem gezeigt hat, dass etwa ein Viertel der Bevölkerung Teile der Stadt meidet, wenn dort aufgrund von Ereignissen wie dem Oktoberfest oder Fußballspielen Überlastungserscheinungen durch Overcrowding zu erwarten sind. Darüber hinaus beschreibt er den Einfluss von sogenannten Mitwohnzentralen wie etwa Airbnb auf ganze Stadtteile sowie die unmittelbaren Auswirkungen der Kurzzeitvermietungen auf die Bewohner*innen im eigenen (Mehrparteien-)Haus (z. B. Lärm im Haus, Verlust der Privatsphäre). Allgemein hat München seiner Meinung nach kein Problem mit Overtourism an sich, ein ohnehin „leeres Konzept“, das unter anderem wenig differenziert, mehrdeutig und subjektiv ist.

Individualverkehr als grundlegender Störfaktor

Stefan Fredlmeier hat in Füssen und Umgebung oft mit massiven Besucherströmen zu kämpfen, die sich vor allem an überfüllten Verkehrswegen und ungenügendem Parkraum zeigen würden. Auch Maximilian Stark von der Bürgerinitiative „Rettet den Grünten“ nennt insbesondere den Individualverkehr als Problemfeld. Negative Begleiterscheinungen des Tourismus werden in der Bevölkerung oftmals stärker wahrgenommen als positive. Die Tourismusentwicklung muss zunehmend mit der Standortentwicklung zusammenwachsen, damit die Lebensqualität vor Ort erhalten bleibt.

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Mobilitätswende und digitales Monitoring als Teil der Lösung

Fredlmeier sieht die Touristiker*innen dabei in der Verantwortung, die Probleme zu lösen. Kausale Zusammenhänge und Auswirkungen von Maßnahmen bedürften einer differenzierten Betrachtung. Chancen auf wegweisende Veränderungen sieht Fredlmeier in der Mobilitätswende und im digitalen Monitoring. Durch das Sammeln, Aufarbeiten und Bereitstellen von Daten können Besucherströme sinnvoll gelenkt und auch gezielt Maßnahmen umgesetzt werden. „Auch Gäste haben keine Lust auf Staus, lange Parkplatzsuche oder überfüllte Plätze und Sehenswürdigkeiten.“

Alle Expert*innen der Diskussionsrunde sind sich einig, dass sich mittel- bis langfristig das Verständnis von Tourismusentwicklung sowie das Reisebewusstsein verändern werden.

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