STUDIE

Schlagworte: Zukunft des Wirtshauses

Das Wirtshaus in bayerischen Kommunen – Eine Befragung von Bürgermeister*innen

15. Februar 2024

© iStock.com/Binder Medienagentur

Im Rahmen des BZT-Forschungsprojekts zur Zukunft des Wirtshauses führte das Bayerische Zentrum für Tourismus in den Monaten September und Oktober 2023 eine Online-Befragung zur Relevanz von Wirtshäusern unter 1.121 bayerischen Bürgermeister*innen von Gemeinden mit bis zu 10.000 Einwohnern durch. 257 Bürgermeister*innen nahmen an der Umfrage teil und äußerten sich zur Rolle des Wirtshauses und zu den Folgen des Wirtshaussterbens sowie den Möglichkeiten und Instrumentarien zum Erhalt, der Förderung und der Entwicklung von bayerischen Wirtshäusern im ländlichen Raum.

Stimmungsbild

Bedeutung von bayerischen Wirtshäusern in Kommunen

Die Anzahl der Wirtshäuser in einer Gemeinde korreliert weitestgehend mit der Einwohnerzahl (n=207). Während 81 Prozent aller Bürgermeister*innen von Gemeinden mit mehr als 5.000 Einwohner*innen angeben, über fünf und mehr Wirtshäuser zu verfügen, können von den Kommunen mit bis zu 2.500 Einwohner*innen nur circa ein Fünftel (19 Prozent) mit fünf und mehr Wirtshäusern aufwarten. Vielmehr verfügen die kleineren Kommunen entweder über gar kein Wirtshaus (8 Prozent) oder in der Mehrzahl über maximal ein (19 Prozent), zwei (22 Prozent) oder drei (23 Prozent) Wirtshäuser.

Die Teilnehmer*innen wurden in der Befragung gebeten, anzugeben, was sie mit einem bayerischen Wirtshaus verbinden (n=257). Besonders häufig werden die Schlagwörter „gutes Essen“ (32 Prozent), „Geselligkeit“ (25 Prozent), „Gemütlichkeit“ (25 Prozent), „Treffpunkt für alle Generationen“ (23 Prozent) und „Stammtisch“ (16 Prozent) assoziiert. Des Weiteren wurde gefragt, inwieweit sich das bayerische Wirtshaus von anderen gastronomischen Einheiten unterscheidet. Als Differenzierungsaspekte zählen die Teilnehmer*innen Aspekte wie z. B. das Vorhandensein eines Stammtisches (28 Prozent), das Angebot an traditionellen bzw. bayerischen Speisen (25 Prozent) sowie die Funktion als Treffpunkt (17 Prozent) auf.

Starke Wahrnehmung des Wirtshaussterbens im ländlichen Raum

76 Prozent aller bayerischen Bürgermeister*innen erleben in ihren Kommunen ein Wirtshaussterben (n=243). Diese Bürgermeister*innen (n=173) wurden daraufhin gebeten, Gründe anzugeben, die ihrer Ansicht nach zu einem Wirthaussterben geführt haben. Hier zeigt sich die Nachfolgesuche verstärkt als Herausforderung (50 Prozent). Zudem fehlt es in gastronomischen Einheiten massiv an Personal (44 Prozent). Auch die Vielzahl an Auflagen und der hohe Grad an Bürokratie (21 Prozent) werden als Aspekte für die Schließung von bayerischen Wirtshäusern aufgeführt.

22 Prozent der Befragten geben hingegen an, dass für sie kein Wirthaussterben in ihrer Region wahrnehmbar ist. Diese Teilnehmer*innen wurden gefragt (n=50), welche Aspekte ausschlaggebend sind, dass die Wirtshäuser weiterhin geführt wurden bzw. werden. Als ein Grund wird am häufigsten ein „starker Tourismus“ genannt. Allerdings vermag die touristische Prägung der Kommunen dem schleichenden Aussterben der Wirtshäuser eher in moderatem Ausmaß entgegenzuwirken. So nehmen touristisch geprägte Regionen das Wirtshaussterben etwas weniger stark wahr (68 Prozent) als kaum (82 Prozent) oder gar nicht touristisch geprägte Regionen (78 Prozent) (n=207).

Relevanz des Tagestourismus in der Kommune (n=205)

wichtige Rolle - 26%
eher wichtige Rolle - 18%
teils/teils - 15%
eher unwichtige Rolle - 26%
keine Rolle - 13%
weiß nicht/keine Angabe - 2%

Rolle des Tagestourismus für Wirtshäuser (n=205)

wichtige Rolle - 28%
eher wichtige Rolle - 20%
teils/teils - 26%
eher unwichtige Rolle - 17%
keine Rolle - 6%
weiß nicht/keine Angabe - 3%

Hohe soziale Relevanz des Wirtshauses im ländlichen Raum

Das bayerische Wirtshaus als sozialer Treffpunkt (94 Prozent) und Erlebnisraum für Festivitäten und Veranstaltungen (90 Prozent) hat nach Ansicht der Bürgermeister*innen einen erheblichen Einfluss auf die Lebensqualität (96 Prozent) und das Zusammengehörigkeitsgefühl im Ort (94 Prozent). Entsprechend sehen die Befragten insbesondere in der Erosion des sozialen Zusammenhalts, eine wesentliche Folgeerscheinung des Wirtshaussterbens. In Konsequenz bewerten nahezu drei Viertel aller Bürgermeister*innen das Wirtshaus als wichtigen (35 Prozent) bzw. eher wichtigen Teil (39 Prozent) der kommunalen Daseinsvorsorge.

„Das Zusammenleben verliert sich, die Menschen isolieren sich. Darunter leidet das Zusammengehörigkeitsgefühl. Der Wohnort dient nur noch als Schlaf- und bedingter Aufenthaltsort. Die Identifizierung mit dem Wohnort (Heimat) geht verloren. Vereins- und Brauchtumspflege leidet.“.

Teilnehmerzitat aus Befragung

Förderung und Entwicklung von bayerischen Wirtshäusern in Kommunen

Im zweiten Teil der Umfrage wurden die Bürgermeister*innen gebeten (n=226), anzugeben, welche Stakeholder aus ihrer Sicht für die Förderung und Entwicklung von bayerischen Gastronomiebetrieben zuständig sind. Auch wenn die Befragten in erster Linie die Privatwirtschaft in der Pflicht sehen, wirtschaftlich tragfähige gastronomische Angebote zu entwickeln (96 Prozent), sieht sich, angesichts des Stellenwerts des Wirtshauses als sozialer Ort, jede(r) zweite Bürgermeister*in in der Verantwortung, wenn es um den Erhalt und die Förderung des lokalen Wirtshausangebotes geht (50 Prozent).

Weitergehend wurden die Bürgermeister*innen gebeten, verschiedene Förderinstrumente gemäß ihrer relativen Bedeutung für den Erhalt der Wirtshäuser in ihren Kommunen zu bewerten (n=226). Speziell das Abhalten von traditionellen und kulturellen Veranstaltungen in Wirtshäusern wird als wichtig bzw. eher wichtig gewertet (89 Prozent). Kumuliert man die Ergebnisse der Faktoren „wichtig“ und „eher wichtig“ haben noch folgende Aspekte einen Wert von 50 Prozent überschritten:

  • Zusammenarbeit mit Vereinen (84 Prozent)
  • Schnelle Bearbeitung von Genehmigungsverfahren (66 Prozent)
  • Zusammenarbeit mit örtlichen Produzenten, Direktvermarktern und landwirtschaftlichen Betrieben (63 Prozent)
  • Erschließung öffentlicher Fördermittel (58 Prozent)

Auf der anderen Seite wird die finanzielle Unterstützung seitens der Kommune (42 Prozent) und die Beratung durch die Kommune (41 Prozent) als eher unwichtig bzw. unwichtig empfunden.

Heterogenes Bild bei der Umsetzung von Förderungsmaßnahmen in den Kommunen

Abschließend wurden verschiedene Fördermaßnahmen aufgelistet, bei denen die Teilnehmer*innen angeben konnten, ob die Maßnahmen bereits umgesetzt werden, in Planung bzw. noch nicht umgesetzt sind oder ob der Weg als nicht umsetzbar wahrgenommen wird (n=226). Zudem konnte die Option „keine geeignete Maßnahme“ gewählt werden. In der konkreten Umsetzung der verschiedenen Fördermaßnahmen ergibt sich in der Studie ein sehr heterogenes Bild: Einerseits zeigt sich, dass bereits in 36 Prozent der Kommunen eine Vernetzung der Gastronomie vor Ort realisiert wurde, 27 Prozent der Kommunen unterstützen bei der Suche nach Pächter*innen, 26 Prozent der Befragten geben an, eine Beratung zu öffentlichen Fördermitteln anzubieten. Darüber hinaus gibt es auch Kommunen, die sich bereits bei der finanziellen Unterstützung von Betrieben (11 Prozent), bis hin zum Betrieb eines eigenen Wirtshauses engagieren (10 Prozent).

Demgegenüber stehen Kommunen, die vieles davon nicht umsetzen, es für nicht umsetzbar halten oder bestimmte Maßnahmen als nicht geeignet halten, zum Erhalt und Förderung einer lokalen Wirtshauskultur beizutragen. So sehen 40 Prozent der Teilnehmer*innen eine „finanzielle Unterstützung des Betriebs“ als nicht umsetzbar an oder sehen dies nicht als geeignete Maßnahme (20 Prozent). Auch werden der Betrieb eines eigenen Wirtshauses/Anteilseignung (55 Prozent), der Kauf eines Gebäudes, Instandsetzung sowie Vermietung/Verkauf (41 Prozent) und/oder die Schaffung von Anreizen für die Neuansiedlung von Wirtshäusern (37 Prozent) durch die Kommunen von den Bürgermeister*innen als nicht realistisch bewertet.

Einwohnerzahl (n=207)

Touristische Prägung (n=207)

Fazit

Es herrscht weitestgehende Einigkeit der Bürgermeister*innen darüber, dass das Wirtshaus als zentraler Treffpunkt sozialer Interaktionen in einer Kommune von hoher Relevanz für die Lebensqualität, das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Identifikation mit dem Wohnort bzw. der Heimat ist. Das Wirtshaus als sozialer Ort bzw. bayerisches Kulturgut ist jedoch gefährdet, das Wirtshaussterben im ländlichen Raum in vollem Gang und der Tourismus allein kann diese Entwicklung nicht auffangen. Um die traditionellen Wirtshäuser in Bayern vor dem Aussterben zu bewahren, muss etwas getan werden.

Aber, was und von wem? Was ist vor Ort beeinflussbar und was nicht? In der konkreten Umsetzung der verschiedenen Entwicklungs- und Fördermaßnahmen zeigt sich in der Studie ein heterogenes Bild. Einige Kommunen versuchen aktiv dem Wirtshaussterben entgegenzuwirken und setzen erste Förderungs- und Entwicklungsmaßnahmen um. Andere Kommunen sehen sich nicht in der Lage, auf Basis der ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, den schleichenden Prozess des Wirtshaussterbens aufzuhalten.

Es gilt, aus Sicht von Wissenschaft, Praxis und Politik, weitere Alternativen und Ansatzpunkte sichtbar zu machen bzw. Wege zu finden, wie der Erhalt und die Förderung zukunftsfähiger Konzepte rund um die Wirtshauskultur gestaltet werden kann. Welche Maßnahmen sind hilfreich, welche nicht, was funktioniert, was nicht? Die Aufgabe, das Wirtshaus als bayerisches Kulturgut und als sozialen Dreh- und Angelpunkt vieler Dörfer und Gemeinden zu erhalten, ist eine Gemeinschaftsaufgabe, bei der viele Akteure gefragt sind, an zukunftsfähigen Lösungen mitzuarbeiten.

Methodik

Befragungszeitraum:
18.09.2023 bis 18.10.2023

Durchführung der Studie:
Bayerisches Zentrum für Tourismus

Methode:
Dieser Untersuchung liegt eine Online-Umfrage zugrunde, die in der Software „SoSci“ erstellt wurde. Die erhobenen Daten haben keinen Anspruch, eine repräsentative Stichprobe für die Bürgermeister*innen in Bayern zu sein. Die Umfrageergebnisse sollen einen exemplarischen Einblick geben. Es ist davon auszugehen, dass die Beteiligung an der Umfrage – und damit die Investition von Zeit- und Arbeitsaufwand – beeinflusst wird vom Interesse am Thema der Befragung.

Zielpersonen:
Zielpersonen der Umfrage sind Bürgermeister*innen kleiner bayerischer Kommunen (Einwohnerzahl bis 10.000). Es wurden für die Umfrage 1.121 bayerische Bürgermeister*innen per E-Mail kontaktiert.

Realisierte Stichprobe:
An der Umfrage haben 257 Bürgermeister*innen von bayerischen Kommunen bis 10.000 Einwohnern teilgenommen. Dies entspricht einer Rücklaufquote von 23 Prozent. Davon haben 205 Teilnehmer*innen den Fragebogen komplett ausgefüllt. In der folgenden Auswertung werden die Ergebnisse der Befragten dargestellt, welche die jeweiligen Fragen beantwortet haben. Demnach variiert in der Auswertung die Basis.

Alle Ergebnisse der Umfrage