Klimawandel und seine Auswirkungen bedrohen den Wohlstand Deutschlands. Maßnahmen, um dem entgegenzuwirken, bündeln allerdings alle Aufmerksamkeit, wodurch Themen wie Tourismusförderung ins Hintertreffen geraten. Der Zeitgeist lässt auch die Bevölkerung in Sachen Umwelt- und Sozialverträglichkeit umdenken. Jedoch wirkt es so, als würden Touristen im Urlaub bewusst Abstand vom Verzichtsdenken nehmen, um das Leben wenigstens hier in vollen Zügen zu genießen. Globale und auf Künstliche Intelligenz spezialisierte Tourismuskonzerne übernehmen das Ruder und bieten Standardleistungen jenseits von Tradition und Nachhaltigkeit an, mit denen regional verwurzelte und identitätsnahe Akteure aus dem Markt getrieben werden.
Der Klimawandel erweist sich als die gravierende Bedrohung für viele tradierte Systeme und Verhaltensweisen. Die immer noch hohen frei verfügbaren Einkommen der Bevölkerung resultieren aus besseren wirtschaftlichen Zeiten und spiegeln die Tragweite und negativen Effekte der Umweltveränderungen noch nicht wider. Die Politik hat begonnen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und erkennt die Tragweite der Klimaherausforderung. Die Tourismusförderung verliert angesichts der problematischen Klimabilanz des Tourismus stark an Bedeutung, mit der Folge, dass sich der Staat aus seiner Verantwortung zurückzieht. Die fehlende tourismuspolitische Steuerung in den Regionen geht einher mit einem Verlust von Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten regionaler Tourismusakteure.
Die Touristen in Bayern kommen aus dem In- und Ausland und entscheiden sich nicht allzu bewusst für ihr Reiseziel. Die Destination ist für sie austauschbar und sie lassen sich bei der Reiseentscheidung bereitwillig von Künstlicher Intelligenz, sozialen Netzwerken und sonstigen Meinungsbildnern leiten. Zwar sind die Menschen grundsätzlich nachhaltig orientiert, möchten aber im Zusammenhang mit der schönsten Zeit des Jahres der ständigen Klima- und Krisenrhetorik entfliehen. Urlaub hat einen sehr hohen Stellenwert, und nach dem Motto »Man gönnt sich ja sonst nichts!« geht in puncto Nachhaltigkeit die Schere zwischen Anspruch und Wirklichkeit im Urlaub weit auseinander. Das betrifft ihre Mobilität genauso wie ihre Freizeitaktivitäten. Alles was möglich ist, wird touristisch erschlossen, vermarktet und verkauft. Um von den Touristen in die Auswahl genommen zu werden, fokussieren sich die Standorte bei ihren Angeboten mehr darauf, digitale Top-Rankings zu erreichen, als sich über die Nachhaltigkeit ihrer Angebote zu profilieren.
Obwohl der Tourismus in Bayern ein attraktives Wachstums- und Wettbewerbspotenzial aufweist, haben die kleinen und mittelständischen Betriebe häufig mit Nachfolgeproblemen zu kämpfen. Dies nutzen große Player ohne bayerische Wurzeln, die in den Markt drängen, um die bayerische Lebensart gewinnbringend zu vermarkten. In der hoch digitalisierten Branche kommt es dadurch zu starken Konsolidierungs- und Konzentrationstendenzen, denn die kleinen Anbieter können mit ihren Standardleistungen und ihren beschränkten Ressourcen gegen die Markt- und Marketingmacht der durchdigitalisierten Tourismuskonzerne kaum bestehen. Die verstärkte Globalisierung der Branche führt zu weiterem Identitätsverlust, sodass kaum noch authentische und typisch bayerische Angebote bestehen bleiben. Während IT-Experten und Künstliche
Intelligenz in der sich verändernden Branche an Bedeutung gewinnen, sind die verbleibenden branchenüblichen Jobs wenig attraktiv.
Der Wettbewerbsdruck von außen ist immens, denn »echte und gelebte« Regionalität und Authentizität zählt für die Reisenden kaum und ist somit kein Leistungsvorteil mehr. Standardangebote können kurzfristig erfolgreich sein, laufen aber Gefahr, schnell kopiert zu werden, was zu einem intensiven Preiskampf unter den Betrieben führt.
Profiteure des Wachstums sind vornehmlich Konzern- und Systemanbieter des Tourismus. Dadurch nehmen Konzentrationstendenzen in weiten Teilen des Tourismus zu und der Wettbewerb um Reisende, Preise und Marktanteile verstärkt sich massiv.
Der hohe Automatisierungs-, Effizienz- und Professionalisierungsgrad setzt viele Anbieter unter Druck. Einige Tourismusunternehmen werden diesen veränderten Herausforderungen auf Kunden- und Wettbewerbsseite aufgrund des Fachkräftemangels sowie zahlreicher Ressourcen- und Wissensdefizite nur begrenzt entgegentreten können.
Die Leistungsakteure vor Ort gestalten nicht, sondern sind passiv getrieben von einer wachstumsgetriebenen externen Entwicklung. Die Mehrzahl der Akteure lebt weitestgehend von der Substanz, nachhaltige Innovationen und zukunftsgerichtete Investitionen unterbleiben.
Das »Green Washing« zahlreicher Angebote erweist sich mittel- bis langfristig als Bumerangeffekt. Glaubwürdigkeits- und Vertrauensverluste nehmen zu, unseriösen Angeboten kehren die Reisenden vor dem Hintergrund einer anschwellenden »Sustainable Correctness« zunehmend den Rücken.
Bei der Ausrichtung auf den standardisierten Massentourismus besteht die Aussicht auf kurzfristige Renditen und Abschöpfungsgewinne. Reisemittler und -veranstalter sind dabei mittel- bis langfristig im Vorteil, da sie wenig regionale Verbundenheit und Kapitalbindung aufweisen, während Destinationen sowie die lokale Hotellerie, Gastronomie und andere Tourismusdienstleister eher auf kurze Sicht finanziell profitieren.
Neue Geschäftsmodelle und Leistungsangebote entstehen vorrangig nachfrageorientiert, da Big Data und Künstliche Intelligenz es ermöglichen, Konsumpräferenzen zu ermitteln und echte Mehrwerte für die Gäste zu liefern.
Traditionsbewusste und familiengeführte Individualbetriebe werden in der Nische überleben können. Wahrhaft authentische, traditionelle und einzigartige Leistungsangebote im Sinne eines »Made by Originals« werden Kunden finden, die das Besondere suchen.
Eine Rückbesinnung auf die bayerische Kernidentität im Sinne eines »Mia san mia« wird zum traditionsbasierten Gegenentwurf der standardisierten und seelenlosen touristischen Massenprodukte.
Um die eigenen Leistungsangebote zukunftsfest und attraktiv zu machen, sind angesichts der latent vorhandenen Umweltsensibilität vieler Reisender, »echte und gelebte« Nachhaltigkeitsstrategien auf Destinations- und Unternehmensebene gefragt.