In einer dynamischen Welt verlieren Deutschland und seine Tourismusregionen schleichend den Anschluss an die florierenden Regionen, können sich allerdings noch auf dem guten Ruf der Vergangenheit ausruhen und positive Erträge erwirtschaften. Getrieben von unterschiedlichen Influencern überfallen Touristen wie Heuschrecken die Hotspots und lassen den Wunsch nach Echtheit und Authentizität hinter sich. Die Akteure der Tourismusbranche leben im »Hier und Jetzt« und ignorieren die Herausforderungen der Zukunft. Die Bevölkerung in den Standorten leidet unter dem ungesteuerten Tourismusangebot.
Oberflächlich betrachtet ist alles gut: Noch zeigen alle Wirtschaftsdaten positive Werte, doch es wird zu wenig in die Zukunftsfähigkeit eingezahlt. Deutschland verliert durch die festgefahrenen Strukturen einer erfolgsverwöhnten Branche den Anschluss in einer dynamischen Welt mit sich wandelnden Bedürfnissen. Gleichzeitig steigt das verfügbare Einkommen durch den Wandel von Bedürfnissen und Konsumgewohnheiten. Scheinbar ist auch für den bayerischen Tourismus alles gut: Die Touristenströme nach Bayern wachsen, die Leistungsakteure sind zufrieden und es wird kein Handlungsdruck gesehen. Nachhaltigkeit und Klimawandel sind als Themen präsent, führen aber nicht zu Verhaltensänderungen auf der Angebots- oder Nachfrageseite. Die »Bassd scho«-Mentalität führt zu einer fehlenden gemeinsamen Vision für den Tourismus auf lokaler, regionaler und landesweiter Ebene. Das Handeln ist letztlich geprägt von Partikularinteressen und Egoismen, das uneinheitliche Ressorthandeln in der Politik führt trotz gesicherter Finanzierung nur zur partiellen Stärkung des Tourismus.
Die Touristen bleiben auf tradierten, ausgetretenen und damit auch auf vertrauten Wegen. Sie haben klare Vorstellungen zu ihren Reisezielen, denn es herrscht eine geringe Veränderungsbereitschaft. In der Bevölkerung fährt niemand mehr Bus und Bahn, das Auto bleibt des Deutschen und Touristen liebstes Kind mit Folgen für den Verkehrsfluss und die Umwelt. Viele Gäste aus dem Ausland wollen in kurzer Zeit die »Insta Highlights« sehen und bleiben damit »follower«. Die touristischen Highlights bestimmen auch die Routen der internationalen Reiseveranstalter. Dabei stecken die Reisenden viel im Verkehr und nehmen große Menschenmengen in Kauf. Nachhaltigkeit wird allenfalls zu Hause gelebt, im Urlaub spielt sie keine Rolle. Nachhaltige Ansätze sind »nice to have«, vermitteln ein gutes Gefühl, sind aber kein Entscheidungsgrund, die
Zahlungsbereitschaft dafür ist gering. Unternehmer nutzen Nachhaltigkeit primär zur Effizienzsteigerung. Durch mehr Freizeit im Alltag verringert sich der Bedarf nach klassischen Urlaubs- und Erholungsreisen.
Die Branche ist geprägt von Wachstumsdenken, Pragmatismus und Selbstzufriedenheit. Anbieter bleiben bei etablierten Angeboten und folgen den alten eigenen Erfolgsrezepten oder denen anderer Regionen. Damit ist der Tourismus wenig innovativ und die Teilbranchen verweilen unter sich. Es wird kaum eine Notwendigkeit für Zusammenarbeit gesehen, denn bisher hatten ja auch Einzelkämpfer ein erträgliches Auskommen. Insbesondere die großen Tourismusanbieter (Hotelketten, Veranstalter, Plattformen) mit ihren standardisierten Angeboten nutzen ihre Markt macht. Die bewährten Geschäftsmodelle, auch der Online Reisevermittler, werden nicht weiter hinterfragt, denn der jahrelange Erfolg macht blind für die drohenden Herausforderungen der Zukunft. Die Tourismusanbieter setzen unreflektiert auf ein »Weiter so!« und reagieren höchstens auf kurzfristige Trends. Damit verliert die Tourismusbranche ihre Kundenhoheit und bleibt zunehmend auch nur ein »follower«.
Die Tourismusakzeptanz droht verloren zu gehen, dem unreflektierten »Weiter so!« der Tourismusanbieter stellt sich zunehmend ein kritisches »Jetzt reicht es!« der einheimischen Bevölkerung entgegen.
Tourismusanbieter werden zu Getriebenen ihres Erfolgs, der Wachstumszwang führt zu ungebremstem Massentourismus und treibt die Anbieter zunehmend in einen Preiswettbewerb.
Durchschnittliche und nicht anpassungsfähige Betriebe und Destinationen sind massiv bedroht, wenig innovative Hotels und Wirtshäuser sterben aus, der Verdrängungswettbewerb in Stadt- und Ferienhotellerie durch Ketten zulasten der Individualbetriebe nimmt zu.
Große und mittlere Veranstalter und digitale Plattformen gewinnen die Hoheit über die Angebote, weil sie die Reisewege bestimmen und die Beherbergungsbetriebe unter Druck setzen können.
Die Digitalisierung ermöglicht zwar den direkten Kundenzugang, die Tourismusanbieter verlassen sich jedoch weiterhin auf analoge und digitale Intermediäre und geben damit die Kundenbeziehung preis.
Nachhaltigkeit wird zunehmend zum Hygienefaktor beziehungsweise zum dominierenden Auswahlkriterium, sodass nicht nachhaltige Produkte und Angebote an Relevanz verlieren.
Die Substitution lokaler und einheimischer Mitarbeiter durch ausländische Arbeitskräfte stößt an Grenzen, wo das Leistungsprofil durch bayerische Gastfreundschaft, Authentizität und Identität geprägt sein soll.
Anders zu sein als andere lautet das Gebot der Zukunft, und so bieten sich klar profilierten Anbietern auf Destinations- und Unternehmensebene Wettbewerbsvorteile und Chancen. Anbieter, die Pluralität berücksichtigen und auf regionale, saisonale und qualitativ hochwertige Produktkonzepte setzen, ermöglichen ein hohes Maß an Wettbewerbsdifferenzierung.
In einer nur moderat digitalisierten Branche können sowohl große als auch kleine Betriebe durch eine Personalisierung ihrer Angebote eine deutliche Steigerung des Erlebniswerts und Effizienzgewinne für den Kunden möglich machen.
Sowohl für große, reichweitenstarke (digitale) Reisevermittler als auch alternative Mobilitätsanbieter bestehen Chancen zusätzlicher Wertschöpfung.
Tourismusanbieter, denen es gelingt, eine wertschätzende und attraktive Führungs-, Arbeits- und Unternehmenskultur zu etablieren, werden den Wettbewerb um Fachkräfte gewinnen und können die Qualität ihrer Mitarbeiter zum profilbildenden Element ihres Leistungsangebots machen.
Ein gemeinsamer Daseinszweck (»Purpose«), ein gemeinsames Narrativ können Partikularinteressen und Unternehmensegoismen auflösen und Destinationen und Regionen durch gezielte Förderung, vernetzte Kooperationen und echte Partnerschaften zu einem für Gäste und Einheimische attraktiven Lebens-, Arbeits- und Urlaubsraum machen.