NACHGEFRAGT

Schlagworte: Corona-Pandemie, Nachhaltigkeit

Stimmungsbild: Post-COVID-Tourismus – mehr Nachhaltigkeit?

15. Oktober 2021

Wie wird das Thema Nachhaltigkeit im Post-Covid-Tourismus in Bayern bewertet? Das Bayerische Zentrum für Tourismus hat Branchenakteure dazu befragt. Der Blick richtet sich dabei auf die Nachfrage nach nachhaltigen Angeboten und Dienstleistungen, auf der Ebene des Angebots auf strategische Maßnahmen, um nachhaltige Angebote und Produkte zu schaffen und auch auf die mögliche zukünftige Entwicklung der Bedeutung von Nachhaltigkeit für den bayerischen Tourismus.

Sabine Thiele

Geschäftsführerin
Regensburg Tourismus GmbH

Bemerken Sie seit der Corona-Pandemie eine erhöhte Nachfrage nach nachhaltigen Angeboten und Dienstleistungen?

Für das MICE-Segment gilt das, ja, auch vor Corona schon. Dort können nachhaltige Veranstaltungen in nachhaltigen Locations angeboten werden und die Nachfrage ist da. Nachhaltige Anreise (Kongressticket DB) ist ebenso im Angebot wie nachhaltiges Catering oder nachhaltige Deko. Allerdings wird es eng, wenn nachhaltiges Übernachten dazu gebucht werden soll, beziehungsweise im Ganzen nachhaltige Abendprogramme. Für private Reisen gilt das eher nicht, das war auch für Städtereisen so nicht zu erwarten. Im Stadttourismus ist das Angebot für privates Reisen noch nicht vorhanden. Natürlich gibt es Stadtführungen zu Fuß, auch kann man in der Stadt im Einzelhandel ganze Geschäfte oder einzelne Produkte finden, die nachhaltig sind, in einigen Restaurants kann der Gast nachhaltig Essen und Trinken, aber nachhaltig Nächtigen in einem CO2-neutralen Hotel kenne ich so in der Stadt nur vereinzelt. Da hat die Destination die Zukunftsaufgabe, nachhaltige Angebot zusammen mit den Anbietern zu entwickeln und damit die Nachfrage aufzubauen.

Was sind einfache erste Maßnahmen, mit denen Tourismusanbieter und Destinationen zukünftig ein Mehr an Nachhaltigkeit im Bereich touristischer Angebote und Dienstleistungen anbieten können?

In einem ersten Schritt ist es hilfreich, wenn Unternehmen und Destinationen ihre soziale Verantwortung erkennen und wahrnehmen. Wir alle sind an der Agenda 2030 beteiligt. Dann können Verantwortliche das eigene Unternehmen überprüfen, etwa mit den 17 SDGs oder anhand der ISO 26.000 oder mit der Gemeinwohlökonomie (oder einem anderen Leitfaden). Bei dem Check werden „Lücken“ sichtbar, zum Beispiel bei dem einen beim Wasserverbrauch, beim anderen beim Energieverbrauch, der dritte überprüft den Einkauf und die Lieferketten usw. Eine individuelle Unternehmensbetrachtung lohnt sich, um die eigenen Potentiale zu erforschen. An den Lücken kann dann gearbeitet werden, um am Ende eine Nachhaltigkeitsstrategie für das Unternehmen umzusetzen. Es ist ein Weg der kleinen Schritte. In der Destination kann die DMO mit der Analyse der vorhandenen nachhaltigen Angebote beginnen und dann prüfen, welche Leistungsträger sich schon auf den Weg gemacht haben. Wenn das Delta zwischen vorhandenen Leistungsträgern und nachhaltigen Leistungsträgern idealerweise nicht sehr groß ist, könnte die Destination sofort mit der Vermarktung nachhaltiger Angebote beginnen. Ein gemeinsamer Weg mit DMO und allen touristischen Anbietern hin zu einem nachhaltigen Reiseziel ist ein Zukunftsprojekt.

Wie sieht ein nachhaltiges Angebot für Sie konkret aus?

Private Reisen: Für mich orientieren sich Angebote an der Customer Journey – von der Anreise, über die Beherbergung, über die Programme und Sehenswürdigkeiten, die der Gast besucht, Essen und Trinken, Shopping etc. Am Ende steht ein CO2-Wert beziehungsweise Wasserwert, den der/die Gast für diese Reise benötigt hat, diesen kann er/sie dann in die persönliche Bilanz einfügen (und ggf. kompensieren).

MICE: Kund:innen entscheiden, wie nachhaltig eine Veranstaltung sein soll, dazu kann der Dienstleister Tools einsetzen, zum Beispiel die Green Score Card. Idealerweise ist die Veranstaltung von An- bis Abreise in allen Bereichen klimaneutral, eine Kompensation in sinnvolle Projekte ist möglich.

Wie sieht Ihre Region bzw. Ihr Betrieb in fünf Jahren in Bezug auf Nachhaltigkeit aus? Erwarten Sie eine steigende Nachfrage nach spezifisch nachhaltigen Angeboten und Dienstleistungen?

Bewusstes Reisen (privat und geschäftlich) ist in fünf Jahren deutlich auf dem Vormarsch. Viele Regionen, auch Städte, bieten bis dahin Produkte an, die „ganz normal“ nachhaltig sind und nicht gesondert so genannt werden müssen. Es wird keine spezielle Nachfrage geben, weil das normale Angebot nachhaltig ist. Dazu gehören die bewusste Anreise, das Nächtigen, CO2-neutrale Erlebnisse/Veranstaltungen und vor allem das Essen und Trinken mit saisonaler, regionaler Küche. Nachhaltige Reiseziele sind nichts Besonderes (mehr), weil alle Reiseziele sich nachhaltig ausrichten.

Wolfgang Wagner

Prokurist; Bereichsleitung Strategische Entwicklung
BAYERN TOURISMUS Marketing GmbH

Bemerken Sie seit der Corona-Pandemie eine erhöhte Nachfrage nach nachhaltigen Angeboten und Dienstleistungen?

Der Begriff Nachhaltigkeit hat mit Corona, beziehungsweise bereits mit dem Start der Klimabewegung „Fridays for Future“ definitiv eine Renaissance erfahren. Eine konkrete Auswirkung auf die Nachfrage – nach sogenannten nachhaltigen Produkten – können wir jedoch bislang nicht feststellen. Zwar zeigen aktuelle Zahlen, dass die Bevölkerung grundsätzlich mehr über Nachhaltigkeit im Urlaub und über Urlaub abseits der Massen nachdenkt – die Auswirkungen dieser Überlegungen zum Beispiel auf Reiseentscheidungen und in der Konsequenz auf Bayern als Destination sind allerdings noch nicht absehbar. Festzuhalten bleibt, dass der Drang in die Natur spürbar gestiegen ist – inwieweit diesem Drang allerdings immer nachhaltig nachgegeben wird, ist zweifelhaft.

Was sind einfache erste Maßnahmen, mit denen Tourismusanbieter und Destinationen zukünftig ein Mehr an Nachhaltigkeit im Bereich touristischer Angebote und Dienstleistungen anbieten können?

Ich denke nicht, dass primär das Anbieten von nachhaltigen Angeboten im Vordergrund stehen sollte. Vielmehr stellt sich doch die Frage, wie wir uns als Destination aufstellen, um auch in 10, 20 Jahren und länger vom Tourismus profitieren zu können, ohne dass die Natur und die Bedürfnisse der Bevölkerung dabei vernachlässigt werden. Nachhaltigkeit beschreibt ein Gleichgewicht aus ökologischen, sozialen, aber auch ökonomischen Faktoren. Ein bloßes Anbieten von Tourismusprodukten greift da für mich zu kurz. Und letztlich sollte allen Beteiligten klar sein, dass nicht die Nachfrage – also der Gast – unsere Destination für uns erhalten wird, sondern alle Touristiker selbst gefordert sind. Als erste Maßnahmen wäre hier sicherlich eine Zustandsbeschreibung in den Orten und Regionen denkbar, die zeigt, wie es um die Zufriedenheit von Gästen und Einheimischen aber auch um den Zustand der Natur bestellt ist. Das ist zentral, um daraus Handlungen ableiten zu können.

Wie sieht ein nachhaltiges Angebot für Sie konkret aus?

Ein nachhaltiges Angebot ist ein Angebot, dass die Natur und die Bevölkerung nicht stärker belastet, als es auf der anderen Seite an Nutzen generiert. Der Ansatz ist zwar sperrig, aber letztlich durch die Nachhaltigkeitsdefinition gestützt. Klassische Tourismusangebote mit viel Natur, Bioprodukten und Bergwiesenheu anzureichern ist zwar meist in diesem Kontext das Mittel der Wahl, aber sie sind dadurch nicht per se nachhaltig. Dennoch können natürlich Angebote, die regionale Produkte und Dienstleistungen bewusst aufgreifen und den Naturraum integrieren, ohne ihn zu überlasten, durchaus als nachhaltig im Sinne der Definition verstanden werden.

Wie sieht Ihre Region bzw. Ihr Betrieb in fünf Jahren in Bezug auf Nachhaltigkeit aus? Erwarten Sie eine steigende Nachfrage nach spezifisch nachhaltigen Angeboten und Dienstleistungen?

Wir selbst als Unternehmen wollen uns dem Thema stellen und nachhaltiger werden – wir stehen da noch am Anfang, aber in fünf Jahren ist da einiges möglich. Daneben denke ich nicht, dass das Thema Nachhaltigkeit die Nachfrage im Kern verändern wird. Urlaub dient primär Motiven wie der Erholung oder um Zeit mit der Familie zu verbringen – aber niemand macht sich mit dem Ziel auf den Weg, sich ich im Urlaub nachhaltig zu verhalten. Nichtsdestotrotz ist das Thema an sich für den Bayerntourismus enorm wichtig. Denn Natur, Kultur und Lebensgefühl sind die Faktoren, die unsere Destination erfolgreich machen – und das seit weit über 100 Jahren. Diese Punkte gilt es zu erhalten, eben weil sie uns auch in Zukunft stark machen werden und es genau diese Punkte sind, die die Gäste suchen. Dafür müssen wir uns als Destination nachhaltig entwickeln, um Mensch und Natur auch weiterhin an der Seite des Tourismus zu wissen.

Petra Franzke

Direktion/Marketing
Hotel Sonnengut, Bad Birnbach

Bemerken Sie seit der Corona-Pandemie eine erhöhte Nachfrage nach nachhaltigen Angeboten und Dienstleistungen?

Ja, die Nachfrage ist sehr groß, auch nach nachhaltigen Angeboten und Dienstleistungen.

Was sind einfache erste Maßnahmen, mit denen Tourismusanbieter und Destinationen zukünftig ein Mehr an Nachhaltigkeit im Bereich touristischer Angebote und Dienstleistungen anbieten können?

Wir müssen unsere Ressourcen langfristig erhalten. Einsparungen im Energiebereich können im Hotel durch Modernisierung der Geräte (Heizung, Pooltechnik, Maximumwächteranlage usw.) erreicht werden. Wir haben unseren CO2-Ausstoß verringert, von Plastik- auf Glasgefäße im Küchenbereich umgestellt und beziehen regionale Produkte in der Küche, die ohne Umwege zu uns kommen.

Wie sieht ein nachhaltiges Angebot für Sie konkret aus?

Unser nachhaltiges Angebot ist:

– Waldbaden im Sonnengut/Rottal
– 5 Übernachtungen mit regionalem Frühstücksbuffet, 5-Gang-Wahlabendmenü, 1 Rottaler Waldmenü
– 1 Wanderkarte mit Tourenvorschläge für das Waldbaden bei uns in Bad Birnbach
– 1 Wald Qi Gong mit unserer Fitnesstrainerin
– 1 Bayerischer HAMAM Hopfen & Malz
– Nutzung unseres SPA auf 3000 qm

Einzelcoaching und Mentaltraining zum Arrangement sind dazu buchbar.

Wie sieht Ihre Region bzw. Ihr Betrieb in fünf Jahren in Bezug auf Nachhaltigkeit aus? Erwarten Sie eine steigende Nachfrage nach spezifisch nachhaltigen Angeboten und Dienstleistungen?

Die Nachfrage wird sicherlich weiter steigen, weil das Bewusstsein der Gäste für nachhaltigen Urlaub zunimmt. Wir werden uns weiter mit dem Thema befassen und nachhaltige Dienstleistung steigern.

Prof. Dr. Markus Pillmayer

Fakultät für Tourismus
Hochschule München

Bemerken Sie seit der Corona-Pandemie eine erhöhte Nachfrage nach nachhaltigen Angeboten und Dienstleistungen?

Nein, eine konkrete Nachfrage gibt es leider nicht. Das Interesse an nachhaltigen Angeboten ist meines Erachtens jedoch gestiegen, wenn auch noch verhalten. Trotzdem sollten die Anbieter hier aktiver werden als bisher, denn nur nachhaltige touristische Angebote sollten eine Zukunft haben. Hierbei sollten die Anbieter – je nach Bedarf – aber kompetent begleitet und unterstützt werden.

Was sind einfache erste Maßnahmen, mit denen Tourismusanbieter und Destinationen zukünftig ein Mehr an Nachhaltigkeit im Bereich touristischer Angebote und Dienstleistungen anbieten können?

Am Anfang sollte zuerst die Erkenntnis stehen, dass es sich bei Nachhaltigkeit um eine Haltungs- beziehungsweise Einstellungsfrage handelt. Daran sollten sich alle Maßnahmen orientieren. Erste Maßnahmen im Bereich Tourismusanbieter könnten etwa Einsparungsmöglichkeiten bei Energie, Wasser und Entsorgung sein oder die Verwendung heimischer Materialien. Im Bereich Destinationen könnten Herstellungsort und Materialeinsatz von Printprodukten und die Notwendigkeit verschiedener Messebeteiligungen in den Fokus rücken.

Wie sieht ein nachhaltiges Angebot für Sie konkret aus?

Das Angebot wird schon ab der Haustür des Gastes gedacht. So erfolgt die Anreise mit dem ÖPNV – sofern möglich. Der Unterkunftsbetrieb investiert beispielsweise in Möbel aus heimischem Vollholz, lebende Pflanzen, die für die Verbesserung des Raumklimas sorgen und abgeschirmte Elektroleitungen, die Elektrosmog vermeiden. Am Buffet beziehungsweise auf der Speisekarte finden sich überwiegend bis ausschließlich regionale Produkte, Lebensmittel werden in irgendeiner Form wiederverwertet und der Betrieb greift auf regionale Handwerker zurück. Ferner fördert der Betrieb die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Innerhalb der Destination hat der Gast die Möglichkeit, sich ohne PKW zu bewegen.

Wie sieht Ihre Region bzw. Ihr Betrieb in fünf Jahren in Bezug auf Nachhaltigkeit aus? Erwarten Sie eine steigende Nachfrage nach spezifisch nachhaltigen Angeboten und Dienstleistungen?

Das Thema Nachhaltigkeit ist so gesehen nicht neu. Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie halte ich es aber für realistisch, dass die Nachfrage nach spezifischen Angeboten und Dienstleistungen steigt. So würde sich für Destinationen die „Exzellenzinitiative Nachhaltige Reiseziele“ mehr als anbieten, die schon einige prominente Akteure umfasst. Der Gedanke der Nachhaltigkeit muss sich in Prozessen, Strukturen, Organisationen etc. erkennbar widerspiegeln!