KAMINGESPRÄCH

Tourismusbewusstsein und Tourismusakzeptanz

Berchtesgaden I 17. Oktober 2024

Bayern ohne Tourismus wäre nicht mehr Bayern, denn der Tourismus ist nicht nur ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, sondern auch wichtig für die Lebensqualität in den bayerischen Regionen.

Zur zukunftssicheren Aufstellung des Tourismus ist es unerlässlich, sich mit dem Tourismus sowohl aus der Sicht der Gäste als auch aus Sicht der Einheimischen zu beschäftigen. Da das Tourismusbewusstsein und die Tourismusakzeptanz seitens der Einheimischen die Basis für die touristische Entwicklung darstellen, haben wir mit der jungen Generation der Bewohnerinnen und Bewohner der Tourismusregion Berchtesgaden sowohl über die positiven als auch die negativen Auswirkungen des Tourismus diskutiert.

Das Kamingespräch wurde in Kooperation mit dem Tourismusverband Oberbayern München e.V. veranstaltet. Wir freuen uns, dass wir die Bayerische Staatsministerin für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Tourismus, Michaela Kaniber, begrüßen durften, die mit den Teilnehmenden in den Dialog getreten ist. Außerdem wurden Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft und Praxis eingeladen, um die Themenschwerpunkte aus verschiedenen Perspektiven aufzuzeigen.

Referenten aus Wissenschaft und Praxis

Leonie Scherer

Consultant Marktforschung

dwif Consulting GmbH

Michael Wendl

Geschäftsleitung

Zweckverband Bergerlebnis Berchtesgaden

Kernaussagen
  • Die Besucherstruktur der Region Berchtesgaden wird mit ca. 82 Prozent vom deutschen Markt dominiert. Dabei zeigen Gäste aus Bayern (20 Prozent) die höchste Besuchsintensität.
  • Die drei am meisten vertretenen ausländischen Quellmärkte der Region Berchtesgaden sind Österreich, die USA und die Niederlande.
  • Der Anteil an Übernachtungen in der Wintersaison (November bis April) ist seit 2020 stetig gestiegen und lag im Jahr 2023 bei 26,79 Prozent.
  • Die Social-Media-Präsenz der Region Berchtesgaden wurde in den letzten Jahren stark auf den Kanälen Facebook, Instagram und seit Juli 2024 auch auf TikTok (primäre Zielgruppe: Einheimische) ausgebaut. Zudem sind die Seitenaufrufe auf der Destinationswebseite im Vergleich zu 2023 um 10 Prozent gestiegen.
  • Während die Bevölkerung Berchtesgadens für den eigenen Wohnort überwiegend die positiven Effekte wahrnimmt, sieht sie für sich persönlich weniger Vorteile durch den Tourismus.
  • Insbesondere Jüngere erkennen die Bedeutung des Tourismus an, fühlen sich aber überproportional stark von negativen Effekten betroffen.
  • Die Einheimischen fühlen sich noch nicht ausreichend in der touristischen Entwicklung berücksichtigt.
  • Die Touristen werden insgesamt als zu viele angesehen. Bei differenzierter Betrachtung fällt jedoch auf, dass sich das vor allem auf Tagesausflügler und die Besitzer von Zweitwohnungen bezieht.
  • Es besteht der Wunsch nach der Lösung von Verkehrsproblemen und der Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum, der den Einheimischen vorbehalten ist.

Ergebnisse der Workshops

Um die zugrundeliegende Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, wurde das Auditorium in zwei Workshopgruppen unterteilt, in welchen es jeweils Fragestellungen in Bezug auf die Region Berchtesgaden zu den Themenschwerpunkten “Aktuelle Herausforderungen“, „Ideen zur Verbesserung“ und „Berchtesgaden ohne Tourismus“ diskutiert wurden. Im Anschluss wurden die Resultate der Diskussionen von jeder Workshopgruppe im Plenum vorgestellt.

Die Ergebnisse der Workshops lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Aktuelle Herausforderungen – Wo drückt der Schuh?
  • Stark angespannte Verkehrssituation (zu viel Individualverkehr mit Verkehrsspitzen im Sommer, fehlende Parkmöglichkeiten)
  • Überlastung des ÖPNV durch hohes Touristenaufkommen und keine preiswerte Gestaltung des Angebots für Einheimische
  • Gefahr von „Kitzbühlisierung“ / Preisanstieg in vielen Bereichen
  • Wohnraummangel für Einheimische
  • Finanziell kaum leistbarer Wohnraum für Einheimische verfügbar
  • Überlastung der Natur (z. B. Hotspots am Berg)
  • Mangel an Arbeitskräften
  • Rücksichtsloses Verhalten der Gäste (u.a. keine Akzeptanz der persönlichen Grenzen der Einheimischen, kein Respekt vor Natur und Umwelt) bei gleichzeitig hoher Anspruchshaltung
  • Freizeitgestaltung in der Region für Einheimische kaum noch möglich
  • Gefühl, dass Tourismusentwicklung und -wachstum um jeden Preis verfolgt wird
Ideen zur Verbesserung
  • Verbesserung des ÖPNV-Netzes und Vergünstigung des RVO-Verkehrs für Einheimische
  • Verbesserung des Radwegenetzes (u.a. in Bezug auf Sicherheitsaspekte)
  • Verkehrsleitsysteme
  • Angebot von Carsharing, E-Bikes, Park and Ride-Plätzen etc.
  • Reduktion/ Verbot von Zweitwohnsitzen
  • Genügend bezahlbaren Wohnraum schaffen/ genehmigen
  • Intelligente Besucherlenkung und gezielte (Zugangs-)Beschränkung von Hotspots
  • Bessere Aufklärung der Touristen in Bezug auf einen respektvollen Umgang mit der heimischen Kultur und Natur (z. B. Beschilderungen auf englischer Sprache)
  • (Finanzielle) Ahndung von Fehlverhalten der Gäste
  • Regulatorisches Eingreifen in den Bau- und Wohnungsmarkt seitens der Politik
  • Schaffen von mehr Parkmöglichkeiten
  • „De“-Marketing der Region oder gezieltes Marketing für einen nachhaltigen, sozial verträglichen Tourismus
Was wäre Berchtesgaden ohne Tourismus?
  • Erholung für die Natur und Umwelt
  • Idyllisch, aber langweilig und leer/ gerät in Vergessenheit
  • Weniger vielfältig
  • Ein ruhiges, beschauliches Dorf
  • Chance für andere Wirtschaftszweige?
  • Günstigerer Wohnraum
  • Weniger Investitionen in die lokale Infrastruktur und Landschaftspflege (die Optik des Ortsbildes könnte darunter leiden)
  • Verlust an wirtschaftlichem Wohlstand: Unternehmen, Arbeitsplätze und -kräfte (auch in anderen Branchenbereichen als dem Tourismus, wie z. B. Handwerk)
  • Weniger Angebote für Freizeit, Kultur, Gastronomie etc. (z. B. Aussterben des Einzelhandels, Reduktion des gastronomischen Angebots)
  • Abwanderung, insbesondere der jungen Bevölkerung

Schlussrunde

Zum Abschluss der Veranstaltung gingen Staatsministerin Michaela Kaniber und Dr. Bartl Wimmer, Vorsitzender Bergerlebnis Berchtesgaden, auf die wesentlichen Punkte der Diskussion ein.

Dr. Wimmer
  • Ziel ist es, die touristischen Kennzahlen des Jahres 2019 auf lange Sicht zu halten und nicht zu erhöhen, aber mehr Wertschöpfung für Investitionen und Infrastruktur zu generieren.
  • Tourismus hat für die Region eine Verbesserung der Lebensqualität gebracht und das gilt es im Bewusstsein der Bevölkerung zu verankern und die Tourismusakzeptanz zu steigern („Ohne Tourismus gäbe es kein Hallenbad.“)
  • Die Themen bezahlbares Wohnen und weitere Attraktivierung des ÖPNV stellen objektive Herausforderungen dar, die zeitnah von Tourismus und Politik angegangen werden müssen.
Staatsministerin Kaniber

„Meine Maxime in der bayerischen Tourismuspolitik ist es, immer auch die Belange der Einheimischen mitzudenken und ihre Bedürfnisse und Sorgen ernst zu nehmen. Nur wenn die hohe Lebensqualität für die Einheimischen erhalten bleibt, werden sie auch Gäste willkommen heißen. Wir wollen kein Wachstum um jeden Preis, sondern setzen auf ein qualitatives Wachstum im Tourismus. Kurz gesagt: wir wollen, dass mehr touristische Wertschöpfung in der Region bleibt, regionale Wirtschaftskreisläufe gestärkt werden und sich somit die Lebensqualität der Menschen vor Ort spürbar verbessert. Denn wir dürfen nicht vergessen: So manches Angebot vor Ort, das auch die Einheimischen gerne nutzen, gäbe es vielleicht ohne Tourismus nicht. Uns ist das Bewusstsein für die heimische Natur und die Landwirtschaft als Grundlage von allem sehr wichtig. Deshalb muss der sanfte Umgang mit der Natur das Credo bleiben.“

Mehr zum Thema

Impressionen