GEFÖRDERTES PROJEKT 2021/2022

Schlagworte: Overtourism, Tagestourismus, Alpenvorland

Regionaler Overtourism im Alpenvorland? Regionales Changemanagement zur nachhaltigen Lösungsfindung für den Tagestourismus am Beispiel Schliersee/Tegernsee

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Landschaftlich ansprechende Destinationen werden in Bayern wie andernorts von Touristen stark frequentiert. Häufig wird der in der Region bisweilen als Umsatzbringer und Jobmotor geschätzte Tourismus zum Problem, wenn sich zeitlich und räumlich akkumuliert zu viele Touristen in der Region aufhalten. Diese Erfahrung machen insbesondere Regionen im unmittelbaren Umfeld von größeren Agglomerationsräumen. Interessenskonflikte nehmen zu, eine nachhaltige, integrierende Lösung des Problems scheint aufgrund wachsender Emotionen und gegenseitigen Unverständnisses immer unwahrscheinlicher. Im Rahmen dieses Projektes werden, mithilfe von organisationalen Changemanagement-Ansätzen und tourismuswissenschaftlichen Erkenntnissen, verträgliche und ökologisch nachhaltige Lösungsansätze für unterschiedliche Probleme des Overtourism (z. B. Mobilität, Verkehr) gesucht. Dazu wird auch das durch die COVID-19-Pandemie verstärkt aufgekommene Phänomen des regionalen Overtourism untersucht, bei dem der Fokus auf tagestouristischem Ausflugsverkehr aus dem Inland liegt. Neben einer Definition dieses neuen Phänomens werden Touristentypen mit unterschiedlichen Interessen und Anforderungen an die Destination identifiziert, die eine Grundlage für Marketing- und Managementstrategien bilden, um gezielt Probleme zwischen Touristen und Anwohnern beheben zu können. Als Beispielregion für das Thema regionaler Overtourism fungierzt die stark touristisch geprägte Region Schliersee/Tegernsee. Die Ergebnisse können auch auf weitere Destinationen übertragen werden.

Methodik

Das Projekt folgt dem agilen Ansatz der Aktionsforschung („Action Research“), um die Transformation der vorliegenden sozialen Situation bzw. die Erarbeitung einer Lösung für das gesellschaftliche Problem durch gleichzeitiges Forschen und praktisches Handeln zu erreichen. Um eine ganzheitliche Betrachtungsweise sicherzustellen, wurden eine quantitative Befragung bei Tagestouristen vorgenommen sowie die Perspektive der Anwohner mittels qualitativer Interviews und einer quantitativen Befragung berücksichtigt. Dazu wurden leitfadengestützte Interviews mit Vertretern verschiedener Stakeholdergruppen geführt und eine Online-Befragung aufgesetzt, auf deren Basis ein gemeinsames Workshopkonzept mit drei Veranstaltungen aufgebaut wurde. Des Weiteren fand ein Projektseminar mit Studierenden aus der Geographie statt, durch das einerseits der wissenschaftliche Nachwuchs direkt in ein Forschungsprojekt einbezogen und andererseits weitere Erkenntnisse zum Thema regionaler Overtourism gewonnen werden konnten.

Abbildung: Vorgehensmodell Changemanagement

Tourismuswissenschaftliche Modelle

  • theoretisches Vier-Stufen-Modell „Irridex“ (Doxey 1975)
  • Destinationslebenszyklus (Butler 1980)
  • Konzept der Tragfähigkeit (Swarbrooke 1999)
  • ständiges Monitoring (Massiani & Santoro 2012)
  • Tragfähigkeitswert-Stretch-Modell (CCVS) (Mansfeld & Jonas 2006)

Regionaler Overtourism

Innerhalb des Projektes wird regionaler Overtourism als eine Überschreitung der Kapazitätsgrenzen (physisch, ökologisch, ökonomisch, infrastrukturell, sozial, perzeptuell) eines ruralen Raumes gesehen. Die daraus resultierende Verringerung der allgemeinen Lebensqualität der Anwohner und die Verschlechterung der Aufenthaltsqualität für (Tages-)Touristen beruht u. a. auf der subjektiven Beeinträchtigung durch Menschenansammlungen.

Organisationaler Changemanagement-Ansatz

Das Projekt überträgt den organisationalen Changemanagement-Ansatz aus den Wirtschaftswissenschaften auf eine Region. Gestaltungsmerkmale aus dem Changemanagement, die in diesem Projekt berücksichtigt werden, sind neben der Ist-Analyse unter Einbeziehung aller Betroffenen, die Formulierung von Vision und Zielen als realistische und gleichzeitig herausfordernde Zukunftsbilder sowie das Bewusstsein für Veränderungsnotwendigkeit und Partizipation. Ein besonderer Fokus liegt auf der Kommunikation mit den verschiedenen Stakeholder-Gruppen.

Fazit

Zusammenfassend wird das organisationale Changemanagement als zielführend für die Problemstellung erachtet. Es gelingt, ein gemeinsames Verständnis der Ist-Situation zu erreichen und eine gemeinsame Vision zu formulieren. Auch die Erfolgsfaktoren des organisationalen Changemanagements (z. B. „Quick-Wins“, Veränderungsnotwendigkeit bewusstmachen und Themenbefürworter finden) werden von den Stakeholdern als relevant und gewinnbringend eingestuft.

Im Forschungsprojekt wird die Tragfähigkeitsberechnung nicht als magische Zahl verstanden, sondern als progressiver Prozess. Bei einer Analyse zur Toleranz von hoher Auslastung bei verschiedenen Aktivitäten zeigt sich, dass Tagestouristen mehr Toleranz in der Auslastung bei gebauter Infrastruktur (z. B. Bergbahn oder Gastronomie) zeigen als bei Aktivitäten in der Natur (z. B. Radfahren oder Wandern). Viele Maßnahmen, die auf konkrete Reduktion abzielen, liegen nicht im Einflussbereich der Regionen, da es sich um Zuständigkeiten auf Landes- oder gar Bundesebene (z. B. Verkehr) handelt. Wie zuvor angenommen, wird der Verkehr von allen Beteiligten als zentrales Thema identifiziert.

Als großer Erkenntnisgewinn für alle Stakeholder gilt das Verstehen von Erwartungen, die Bereitschaft zum Perspektivwechsel und die Schaffung einer soliden Basis für die Zusammenarbeit am Thema. Die unterschiedlichen Perspektiven einer Region und eines Unternehmens bergen jedoch Herausforderungen. Im Gegensatz zum Unternehmenskontext gibt es in einer Region in der Regel keine direkt verantwortliche Person, die mit Change-Themen beauftragt ist. Zudem sind monetäre und zeitliche Ressourcen nicht klar zugeordnet und in der Region zum Teil auch nicht vorhanden. Des Weiteren ist die Kommunikation erschwert und es fehlt eine einheitliche Kommunikationsstrategie mit klar definierten Kanälen. Die Steigerung der Transparenz in Bezug auf bereits gestartete Projekte und Initiativen, Querverbindungen und Ansprechpartnern zielt auf die Schaffung von Synergieeffekten ab.

Für die Übertragung dieses Ansatzes auf andere Regionen wird auf zu berücksichtigende Faktoren hingewiesen. Als eine Voraussetzung gilt das Vorhandensein von divergierenden aber objektiv gleichwertigen Interessen an einen Raum und ein ausreichend großer Problemdruck („sense of urgency“), der Basis von Veränderung ist. Im Untersuchungsgebiet sollten Personen (Treiber), die das Thema voranbringen wollen und „Quick Wins“ mithilfe von Changemanagement identifizierbar sein. Eine weitere Bedingung ist das Vorhandensein von potenziellen Mitstreitern, die durch Multiplikatoren überzeugt werden können. Ähnlich relevant ist die Identifikation eines hochrangigen Themenbefürworters (z. B. Landrat oder Landrätin), der/die hinter der Idee steht. Zudem sollte die Region abgrenzbar und nicht zu groß gewählt werden. Per se deckt sich dies mit den Grundideen aus dem Changemanagement: Betroffene zu Beteiligten zu machen, sie zu informieren und zu befähigen.

Eine große Herausforderung und ein erhöhter Handlungsbedarf werden bei der Vernetzung und Unterstützung der Stakeholder gesehen, da der Tourismussektor viele verschiedene Stakeholder mit unterschiedlichen Perspektiven vereint. Die Workshops leisten einen Beitrag zu einer besseren Vernetzung, einem besseren Verständnis und einer besseren Zusammenarbeit.

Projektverantwortung

Projektleitung: Dr. Marion Karl (Ludwig-Maximilians-Universität München, Department Geographie)
Projektpartner: Dr. Anja Berghammer (Catus Consultants)

Projektbericht

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