GEFÖRDERTES PROJEKT 2023/2024

Schlagworte: Künstliche Intelligenz, Messung, touristische Effekte

Potenzial KI-gestützter Verfahren zur Ermittlung tourismusinduzierter Effekte auf
Lebenszufriedenheit und Gemeinwohl (POKITE)

© iStock.com/Thomas Demarczyk/ismagilov

Die nachhaltige Entwicklung von Destinationen steht vor vielfältigen Herausforderungen, die aus den komplexen Wechselwirkungen zwischen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft resultieren. Diese umfassen beispielsweise den Schutz der Umweltintegrität, die Bewahrung traditioneller Lebensweisen und die Förderung einer ausgewogenen wirtschaftlichen Entwicklung.

Die Bewältigung dieser Herausforderungen erfordert ein ganzheitliches Problemverständnis sowie eine integrative Herangehensweise, die ökologische, soziale und wirtschaftliche Ziele miteinander in Einklang bringt. Der damit verbundene Transformationsprozess spiegelt sich auch im Wandel von Destinationsmanagementorganisationen (DMOs) wider.

Die klassischen touristischen Erfolgsindikatoren wie z.B. Ankunfts- und Übernachtungszahlen stoßen hier aufgrund ihrer Eindimensionalität und vorwiegend betriebswirtschaftlichen sowie wachstumsgetriebenen Ausrichtung zunehmend an Grenzen.

Vor diesem Hintergrund soll das Projekt POKITE einen Beitrag zur Entwicklung alternativer Indikatoren zur Messung tourismus-indizierter Effekte in der sozialen Nachhaltigkeitsdimension leisten. Dabei werden unterschiedliche Zielvariablen wie Lebenszufriedenheit, Gemeinwohl oder Lebensqualität näher betrachtet.

In Anlehnung an aktuelle Studien aus der Raumforschung werden drei zentrale Ziele verfolgt:

  • Identifikation von räumlichen Mustern im Zusammenspiel von lokalen Lebensverhältnissen und verschiedenen Formen des Tourismus.
  • Ausschließliche Verwendung vorhandener Daten des Bayerischen Landesamts für Statistik sowie der Agentur für Arbeit.
  • Datenauswertung und Identifikation räumlicher Muster unter Verwendung von Machine Learning (ML) und Künstlicher Intelligenz (KI).

Die verfolgten Thesen zur Raumwirksamkeit des Tourismus bzw. den Effekten des Tourismus auf die Lebensverhältnisse der lokalen Bevölkerung konzentrieren sich auf die Bereiche Mobilität, Wohnraum und Lebenshaltungskosten sowie Einkommens- und Arbeitsmarkteffekte. Aus den Thesen und der bestehenden Literatur wurde im Rahmen des Projektes ein Strukturgleichungsmodell erstellt. Dieses stellt einen Ansatz dar, die Auswirkungen des Tourismus auf die Lebensqualität zu beschreiben und zeigt gleichzeitig mögliche Wirkungszusammenhänge zwischen den Variablen auf.

Strukturgleichungsmodell, das die im Projektverlauf entstandenen Thesen visualisiert; eigene Darstellung

Auf Basis einer Analyse (Kennzahlenset basierend auf Datensatz der amtlichen Statistik des Bayerischen Landesamts für Statistik, deskriptive Analyse, Experteninterviews) und bestehender theoretischer Erkenntnisse werden verschiedene Indikatoren auf Korrelationen hin untersucht.

Dabei werden folgende Ergebnisse erzielt:

  • Arbeitsmarkteffekte: Es gibt Hinweise auf positive Beschäftigungseffekte des Tourismus, insbesondere für Geringqualifizierte. ​Eine hohe Tourismusintensität korreliert stark negativ mit der Arbeitslosigkeit. ​
  • Einkommensdiskrepanz: Es besteht ein positiver Zusammenhang zwischen Tourismusintensität und der Einkommensdiskrepanz zwischen im Tourismus Beschäftigten und Beschäftigten in anderen Branchen. ​Kein Zusammenhang ist zwischen der Tourismusintensität und dem Medianeinkommen der im Tourismus Beschäftigten festzustellen. ​
  • Wanderungssaldo: Ein geringer Zusammenhang zwischen Tourismusintensität und Wanderungssaldo ist zu beobachten. Die Bruttogehälter der im Tourismus Beschäftigten korrelieren positiv mit dem Wanderungssaldo. ​
  • Lebenshaltungskosten: Die Lebenshaltungskosten korrelieren positiv mit der Anzahl der Ankünfte, Betten und Übernachtungen, jedoch negativ mit der Aufenthaltsdauer. ​ Wohnkosten sind ausschlaggebend für die Höhe der Lebenshaltungskosten.
  • Clusteranalyse: Fünf Cluster von Landkreisen werden gebildet, die sich hauptsächlich in der Tourismusintensität unterscheiden. ​Positive Beschäftigungseffekte sind vor allem in Clustern mit hoher Tourismusintensität beobachtbar. ​
  • Datenverfügbarkeit: Es ist festzustellen, dass nicht alle relevanten Variablen erfasst und/oder öffentlich zugänglich sind, was die Analyse einschränkt. ​

Diese Ergebnisse legen nahe, dass der Tourismus positive Effekte auf den Arbeitsmarkt hat, aber auch zu Einkommensungleichheiten führen kann. ​Die Lebenshaltungskosten werden stark von den Wohnkosten beeinflusst, und die Tourismusintensität hat unterschiedliche Auswirkungen auf verschiedene sozioökonomische Variablen.

Fazit

Auch wenn die Daten die Effekte des Tourismus auf die Lebensqualität weniger stark zeigen als erwartet, können relevante Erkenntnisse für nachhaltige Tourismusstrategien und zukünftige Forschungsprojekte gewonnen werden:

  • Monitoring und Erfolgsmessung: Ein Monitoring ist nötig, um den Erfolg der Destinationsentwicklung zu messen. Zentral ist der Mangel an kleinräumigen, öffentlich verfügbaren Indikatoren, um tourismusbedingte Effekte auf Lebensqualität zu erfassen.
  • Methodische Empfehlungen: Die GWÖ-Matrix (Gemeinwohl-Ökonomie) könnte als Methode zur Identifikation geeigneter Kennzahlen dienen. Ziel ist, ein Dashboard für DMOs (Destination Management Organisationen) bereitzustellen, das relevante touristische und nicht-touristische Variablen enthält
  • Proxys für Lebensqualität: Für die Automatisierung der Erfolgsmessung sind allgemeinere Lebensqualitäts-Proxys nötig, die auch zukünftig erforscht werden sollten.
  • Kooperation mit Raumforschung: Raum- und Tourismusforschung könnten gemeinsam untersuchen, wie verschiedene Tourismusformen die sozioökonomischen Verhältnisse beeinflussen und wie der Tourismus als raumgestaltende Branche wirkt.
  • Verantwortungsfrage: Die Verantwortung zur Verbesserung der Lebensqualität ist primär eine politische Frage. Hier stellt sich die Frage nach den Zuständigkeiten verschiedener Akteure und Branchen.
  • Kosten-Nutzen-Aspekt: Der Nutzen zusätzlicher Datenerhebung für komplexere KI-Methoden zur Erfolgsmessung muss abgewogen werden; einheitliche Kennzahlen wären für Vergleichbarkeit hilfreich, aber unterschiedliche Variablen könnten je nach Destination notwendig sein.
  • Limitierte Eignung subjektiver Zufriedenheitsmaße: Die ausschließliche Fokussierung auf Zufriedenheitsumfragen wird als unzureichend betrachtet, da sie die Subjektivität der Wahrnehmungen nicht genug berücksichtigen.
  • Objektivierbare Rahmenbedingungen: Objektive Kennzahlen zur Lebensqualität werden als geeigneter erachtet, um Tourismuswirkungen zu messen. Tourismusunternehmen, die sich an der Gemeinwohlökonomie orientieren, könnten positive Effekte auf die Region bewirken.
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Projektverantwortung

Projektleitung: Prof. Dr. Guido Sommer und Prof. Dr. Robert Keller (Institut für Nachhaltige und Innovative Tourismusentwicklung – INIT)

Projektbericht

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