KAMINGESPRÄCH

Erfolgskennzahlen und Benchmarks im Tourismus

Kempten I 11. März 2025

Über Jahrzehnte hinweg erfreute sich die Tourismusbranche eines stetigen Wachstums, mit Ausnahme der Corona-Jahre, und die Übernachtungszahlen und Ankünfte galten von Jahr zu Jahr als die Erfolgskriterien. Doch mit dem Wandel hin zu einem nachhaltigen, vermehrt gemeinwohl- und qualitätsorientierten Tourismus stoßen traditionelle Kennzahlen an ihre Grenzen.

Herausforderungen wie Crowding-Effekte, Umweltbelastungen und soziale Spannungen erfordern neue Indikatoren, die den Erfolg einer nachhaltigen, sozial verträglichen und qualitätsorientierten Entwicklung im Tourismus und vor Ort in den Destinationen besser abbilden. Gebraucht werden einerseits neue Kennzahlen, auch Key Performance Indicators (KPI) genannt, die die positiven und negativen Auswirkungen des Tourismus für alle Akteure – Gäste, Leistungsträger und Einheimische – sowie auf die Destination und deren Umwelt widerspiegeln und andererseits auch den Ansprüchen der Leistungsträger gerecht werden. Insbesondere gilt dies für Destinationsmanagementorganisationen (DMO), deren Rolle und Aufgaben sich maßgeblich verändert haben und neuen Anforderungen gegenüberstehen.

Doch wie lassen sich vor diesem Hintergrund solche qualitativen Verbesserungen und der Fortschritt einer Tourismusdestination messen, interpretieren und allgemein verständlich kommunizieren? Was ist dabei der Maßstab und mit welchen Destinationen kann und will man sich vergleichen?

Um sich dieser Thematik aus verschiedenen Perspektiven zu nähern, haben wir zwei Vertreter aus Wissenschaft und Praxis eingeladen. Zu Beginn gab Prof. Dr. Marius Mayer einen kurzen Einblick in die Diskussion und Betrachtung von Erfolgskennzahlen und Benchmarks im Tourismus aus wissenschaftlicher Sicht. Anschließend hat Wolfgang Wagner dargelegt, wie sich das Thema auf Seiten einer Landestourismusorganisation in der Praxis gestaltet.

Das Kamingespräch fand in Zusammenarbeit mit dem Tourismusverband Allgäu/Bayerisch-Schwaben e. V. statt.

Referenten aus Wissenschaft und Praxis

Prof. Dr. Marius Mayer

Fakultät für Tourismus

Hochschule München

Wolfgang Wagner

Prokurist & Bereichsleiter Strategische Entwicklung

Bayern Tourismus Marketing GmbH

Kernaussagen
  • Die Erhebung von Daten und Kennzahlen sind eine Grundvoraussetzung für evidenzbasierte Entscheidungen und Erfolgskontrollen der (unternehmerischen) Aktivitäten.
  • Regelmäßig erhobene, adäquat ausgewertete und kommunizierte Kennzahlen fördern die Transparenz gegenüber den eigenen Stakeholdern und Entscheidungsträgern und sind wichtige Instrumente für die eigene Legitimation.
  • Es gibt kein allgemein gültiges Kennzahlen-Set oder KPIs als Schablone für jede Destination: Die spezifischen Kennzahlen zur Erfolgsmessung einer Destination müssen gemeinsam mit allen tourismusrelevanten Akteuren vor Ort identifiziert und definiert werden.
  • Bei der Festlegung von Zielgrößen und KPIs ist Vorsicht geboten: Jede Kennzahl sollte einem konkreten Ziel zugeordnet werden. Eine einseitige Fokussierung nur auf quantifizierbare Kennzahlen gilt es zu vermeiden.
  • Die bisherige Erhebung von touristischen Kennzahlen zur Erfolgsmessung ist stark nachfrage- und marktorientiert und fokussiert die klassischen touristischen Strukturdaten.
  • Mit den zunehmenden Aufgaben auf Seiten der DMO und einer damit einhergehenden wachsenden Destinationsverantwortung wächst die Zahl der Anspruchsgruppen, deren Bedürfnisse ebenso betrachtet werden müssen (nach innen gerichtete KPI wie z. B. Tourismusakzeptanz).
  • Auch zeigt die klassische Tourismusstatistik nur die Spitze des Eisbergs. Es braucht differenziertere und regionalspezifische Auswertungen.
  • Das Jahr 2024 war für Bayern als Tourismusdestination wieder ein Rekordjahr, gleichwohl nicht alle bayerischen Regionen gleichermaßen davon profitieren.
  • Für die Abbildung des Gesamtbildes des Tourismus in Bayern setzt die BayTM auf einen Mix an Studien und Daten. Das beinhaltet Informationen zum Reiseverhalten der Gäste, Strukturdaten zum Tourismus in Bayern sowie Studien zum Wandel im Tourismus und Trendanalysen gesellschaftlicher Themen.

Ergebnisse der Workshops

Um die zugrundeliegende Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, wurden die Teilnehmenden in zwei Workshopgruppen unterteilt. Jede Gruppe befasste sich mit den gleichen Fragestellungen und diskutierte zu drei Themenschwerpunkten. Im Anschluss wurden die Resultate der beiden Workshopgruppen im Plenum vorgestellt.

Die Ergebnisse der Workshops lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Status quo – Erhebung von Kennzahlen & Benchmarks

Welche (Erfolgs-)Kennzahlen werden bereits erhoben?

  • Touristische Basisdaten auf der Grundlage der amtlichen Meldestatistik (Übernachtungen, Ankünfte, Aufenthaltsdauer, Alter, Herkunft, Auslastung, Tourismusintensität)
  • Destinationsbezogene Daten: Besucherzahlen von Sehenswürdigkeiten, Veranstaltungen u. Ä., Eintrittspreise in Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Besucherbewegungsdaten, Daten der Allgäu-Walser-Card usw.
  • Befragungen der Anspruchsgruppen: Gästebefragungen, Anbieterbefragungen, Einheimischenbefragungen zur Tourismusakzeptanz
  • Zusätzliche Strukturdaten und Auswertungen: u. a. Anteil Zweitwohnungen und Privatwohnungen, Daten in Zusammenhang mit Fremdenverkehrs-/Kurbeitrag bzw. Gästekarten (Vorteilssatz der Betriebe, Entwicklung der Beiträge)
  • Wertschöpfungsbezogene Daten: u. a. Wirtschaftsfaktor, Tagestourismus, Konjunkturdaten
  • Betriebsbezogene/interne Daten der Leistungsträger und DMO: (Online-)Buchungszahlen, Kennzahlen zu Marketing, Kommunikation und Markenimage (z. B. über BrandTrust oder Destination Brand Allgäu)
  • Prognosezahlen: Buchungen, Auslastungen etc.
  • Wettbewerbsvergleiche: TrustScore, Budgets im Tourismus, wertschöpfungsbezogene Hotelvergleiche (RevPar)

Woher kommen diese Daten?

  • Statistische Landesämter, Eurostat
  • Betriebsinterne Zahlen
  • Marktforschungsdaten und Studien von wissenschaftlichen Einrichtungen wie BZT, dwif, RA Reiseanalyse usw.
  • Externe Anbieter und Intermediaries: TrustYou, Booking.com, BrandTrust etc.
  • IHK und Branchenverbände
  • Presseclippings

Mit welchen Destinationen wird sich verglichen?

  • Destinationen im (deutschsprachigen) Alpenraum
  • Vergleich über TrustScore
  • Vergleich über Booking.com mit anderen Leistungsträgern/Destinationen (u. a. Anzahl Unterkünfte, Bewertungen)
Zukunft – Welche Daten und Kennzahlen werden (zukünftig) gebraucht?

Must Have – Welche Daten und Kennzahlen sind zwingend notwendig?

  • (Bessere) statistische Basisdaten: Abbildung des Gesamtbildes sowie eine differenzierte Darstellung (z. B. Ausweisung der beruflich und privatmotivierten Übernachtungen)
  • Wertschöpfungsdaten
  • Daten zur Qualität und Qualitätsentwicklung
  • Nachhaltigkeitsindikatoren: ökologisch (z. B. Wasserqualität, Anzahl an ausgewiesenen Naturschutzgebieten), ökonomisch (u. a. Wertschöpfung, Investitionen) und sozial (z. B. Lebensqualität, soziales Engagement, Anzahl der Vereine)
  • Mobilitätsdaten: Struktur, Entwicklung, Verkehrszählungen
  • Tagesbesucher
  • Investitionsvolumen in die Infrastruktur aus dem Tourismus heraus
  • Kennzahlen zum Gastgewerbe: Ausbildungsquoten, Informationen zur Betriebsnachfolge usw.
  • Prognosen: zukünftige Investitionen, Marktvorausschau, Preis- und Kostenentwicklung, Preisindizes

Nice to Have – Welche Daten und Kennzahlen wären von Interesse, aber verhandelbar?

  • Gästebefragungen
  • Befragung der Einheimischen
  • Innovationsfreude/-fähigkeit
  • Finanzierungsströme
  • Wirtschaftlichkeit (der Leistungsträger)
  • Informationen zu den Netzwerkbeziehungen und der Qualität der (touristischen) Netzwerke
  • Wohnraumanalyse

Wer trägt diese Daten und Kennzahlen zusammen?

  • BayTM (in einer potenziellen Lead-Funktion)
  • Kommunale Ebene
  • Wissenschaftliche Einrichtungen und Institute, u. a. BZT
  • Künstliche Intelligenz als Hilfe/Unterstützung bei der Erhebung und Analyse
Hemmnisse & Probleme – Worin bestehen die größten Hemmnisse und Probleme in Bezug auf die Erhebung und Auswertung (neuer) Kennzahlen?
  • Fehlendes Verständnis sowie gemeinsame, verbindliche Ziele
  • Fehlende Offenheit in Bezug auf touristische Themen
  • Tourismusakzeptanz der Einheimischen
  • Erhebungsmethodik: unterschiedliche Datengrundlagen, Betrachtungsebenen und Standards
  • (Internationale) Vergleichbarkeit
  • Verfügbarkeit und Zugänglichkeit der Daten
  • Kosten der (regelmäßigen) Datenerhebungen
  • Zuständigkeit und Verantwortungsbereich
  • Ressourcen und Know-how in Bezug auf Datenaufbereitung, Operationalisierung, Datenauswertung und adäquater Kommunikation
  • Marktdynamik und Kurzfristigkeit
  • Künstliche Intelligenz als Chance und Risiko

Aus den Diskussionen in den Workshopgruppen ging hervor, dass sich ein einheitliches System, wie z. B. in Tirol, gewünscht wird. Voraussetzung hierfür sind ein einheitlicher Rahmen und gemeinsame (Daten-)Standards, aber allen voran die Verständigung über gemeinsame, verbindliche Ziele für die Tourismusentwicklung.

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